Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Nachlese
(24.10. 2018 – Nachlese) Welche Auswirkungen hat die österreichische Steuerpolitik auf sogenannte Entwicklungsländer? Trägt die aktuelle Steuerpolitik speziell im Bereich der Unternehmensbesteuerung zur Umsetzung der Agenda 2030 und der Erreichung ihrer nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bei oder behindert sie diese? Diese und weitere Fragen diskutierten nationale und internationale ExpertInnen am 9. Oktober 2018 im Albert-Schweitzer Haus in Wien.
Nach einleitenden Worten von Annelies Vilim (Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung) und der Moderatorin Petra Navara folgte die Präsentation der Broschüre „Steuer- und Entwicklungspolitik im Widerspruch? Steuergerechtigkeit und die Rolle globaler Konzerne“ von Sophie Veßel (entwicklungspolitische Referentin, AG Globale Verantwortung) und Martina Neuwirth (entwicklungspolitische Expertin, Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit, VIDC).
Anschließende Podiumsdiskussion mit:
Annelies Vilim stellte in ihren einleitenden Worten fest, dass für die Umsetzung der Agenda 2030, dem globalen Aktionsplan für ein gutes Leben für alle, alle Politikbereiche kohärent aufeinander abgestimmt werden müssen. Denn welche Auswirkungen Politiken auf Länder des Globalen Südens haben, die die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit nicht unterstützen, sehe man an Beispielen wie der Agrarpolitik (siehe Broschüre: Die unfaire Milch – Agrar- und Entwicklungspolitik im Widerspruch?), der Handelspolitik und eben auch der Steuerpolitik. Die österreichische Steuerpolitik und die der EU sollen ein gutes Leben für alle fördern und dieses nicht konterkarieren.
Steuergerechtigkeit und die Rolle globaler Konzerne
Sophie Veßel betonte eingangs die bedeutende Rolle von Steuern für das Funktionieren von Gesellschaften, etwa indem sie Ungleichheiten verringern können. Sie wies dann darauf hin, dass Länder mit niedrigem Einkommen deutlich weniger Steuereinnahmen zur Verfügung haben als Länder mit hohem Einkommen, obwohl gerade dort Steuereinnahmen für Entwicklung gebraucht werden. Unternehmenssteuern seien in diesen Ländern eine besonders wichtige Einnahmequelle, daher treffe es diese Länder besonders, dass die Sätze der Körperschaftssteuer seit den 1980er Jahren massiv gesunken seien. Schließlich ging Veßel auf die Ursachen für niedrige Steuereinnahmen ein. Neben Ursachen in Ländern des Globalen Südens selbst seien auf globaler Ebene zu nennen: Steuervermeidung und Steuerhinterziehung durch vermögende Personen und Unternehmen sowie Steuererleichterungen von Staaten an Unternehmen. Intransparenz von staatlicher Seite ermögliche und fördere wiederum Methoden von Steuervermeidung und -hinterziehung, die vorrangig von großen, transnationalen Unternehmen genutzt werden. Anhand von konkreten Zahlen veranschaulichte Veßel den enormen Steuerentgang.
Martina Neuwirth erläuterte am Beispiel eines in Singapur ansässigen und in Mosambik tätigen Unternehmens, wie Steuern in Millionenhöhe vermieden werden können: mittels Zwischenschaltung eines zusätzlichen Unternehmens in Mauritius und der Nutzung eines geeigneten Doppelbesteuerungsabkommens. Sie berichtete dann von internationalen Reformen. Diese seien einerseits darauf ausgelegt, Steuervermeidung bei Unternehmenssteuern zu vermeiden, andererseits das internationale Steuersystem transparenter zu machen . Viele Länder des Globalen Südens seien bisher aber von diesen komplexen Reformen ausgeschlossen. Neuwirth ging dann auf die Steuerpolitik Österreichs ein. Österreich habe vor allem in Sachen Transparenz noch Nachholbedarf. Über steuerliche Vergünstigungen, die Österreich Unternehmen anbiete, sowie über eine mögliche Senkung der Körperschaftssteuer würde Österreich zum globalen Abwärtstrend beitragen. Neuwirth erwähnte überdies, dass Österreich über Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsländern die Steuersätze für österreichische Unternehmen und somit die Einnahmen dieser Länder reduziere.
Über ein solches Abkommen mit Albanien, einem der ärmsten Länder Europas, werden Steuersätze für österreichische Unternehmen selbst im Vergleich mit anderen EU-Ländern überdurchschnittlich gesenkt, wodurch die Staatseinnahmen Albaniens reduziert werden. Zu geringe Staatsausgaben im albanischen Bildungssektor tragen wiederum zu Schwächen im Bildungssystem bei. Gleichzeitig unterstütze die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit den Bildungssektor und habe auch bereits die Steuerverwaltung Albaniens gestärkt. Die österreichische Steuerpolitik gegenüber Albanien steht also im Widerspruch zu Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit.
Veßel und Neuwirth stellten schließlich folgende Empfehlungen an die österreichische Regierung vor, die den bestehenden Widersprüchen entgegenwirken und zur Umsetzung von Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) beitragen würden:
Steuerpolitik und nachhaltige Entwicklung
Luckystar Myandazi betonte, dass die Verwendung von Steuereinnahmen für Entwicklung nachhaltiger sei als jene von Fördergeldern. Wenn beispielsweise in Nairobi ein Spital gebaut werde, dass von einer ausländischen Stiftung finanziert werde, dann bestehe die Gefahr, dass dieses nach Abschluss des Projektes nicht weiter geführt werde. Öffentliche Dienstleistungen wie Spitäler oder Bildungseinrichtungen sollten daher von der jeweiligen Regierung verwaltet werden. Außerdem stehen immer weniger Gelder für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung.
Sie wies auf die zunehmende Einschränkung zivilgesellschaftlicher Organisationen hin und betonte gleichzeitig die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft im Einsatz für eine faire Besteuerung. Beispielsweise habe das Tax Justice Network Kenia wegen seines Doppelbesteuerungsabkommens mit Mauritius geklagt. Myandazi kritisierte, dass afrikanische Staaten solche Abkommen oft leichtfertig unterzeichnen, sagte aber auch, dass sie oft unter unfairen Voraussetzungen verhandeln müssten. So spielen etwa Unternehmen Regierungen in der Hoffnung auf Steuererleichterungen gegeneinander aus. Die internationale Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft könne die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, um den Druck auf nationale Regierungen zu erhöhen.
Collen Lediga betonte, dass ausreichend Berichte über das Problem von Steuervermeidung auf dem Tisch liegen, dass nun die Staaten zum Handeln gebracht werden müssen. Er veranschaulichte den fehlenden politischen Willen mittels zweier Beispiele: Zum einen seien Staatsangestellte, die er zum Beispiel darin geschult habe, Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen aufzudecken, zu Unternehmen gewechselt. Zum anderen habe ein Staat die fehlende Rückzahlung eines Kredits, den eine Bank an ein Bergbauunternehmen vergeben habe, nicht geahndet. Es habe sich herausgestellt, dass das Unternehmen und die Bank die gleichen AktionärInnen hatten.
Die Zivilgesellschaft könne die Aufmerksamkeit auf illegale Finanzströme lenken, durch die ein Land wie beispielsweise Tansania sehr viel Geld an Steuereinnahmen verliere. Tansania könne sich selbst vollständig versorgen, wenn es Unternehmen stärker besteuern würde. Lediga forderte außerdem, dass Staaten Unternehmen, die in ihrem Land angesiedelt sind, dazu verpflichten, Informationen an die Steuerbehörden anderer Ländern weiterzugeben, die diese für deren Besteuerung benötigen.
Myandazi und Lediga wünschten sich, dass in Zukunft Steuerabkommen zwischen Staaten auf ihre negativen Effekte auf ihre Politikkohärenz im Sinne der nachhaltigen Entwicklung überprüft werden, gleichzeitig müssen diese Prozesse transparenter gestaltet werden.
Wolfgang Lapuh unterstützte die Annahme, dass Gelder, die die eigene Gesellschaft zur Verfügung stelle, bedachtvoller eingesetzt werden, als solche, die aus dem Ausland kommen. Er sah es in diesem Zusammenhang als wichtig an, lokale Institutionen und das Know-How im Steuerbereich zu stärken. Die Stärkung von Steuersystem sei bisher kein massives Thema in der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gewesen, die Bereitschaft in diesem Bereich mehr zu tun, sei aber da. Lapuh begrüßte die heutige Veröffentlichung der Broschüre, da sie neue Blickwinkel für Diskussionen über zukünftige Schwerpunktländer bringen könne.
Er sah die Verabschiedung der Agenda 2030 im Sinne der internationalen Zusammenarbeit für ein gutes Leben für alle als Beispiel wachsender globaler Solidarität. Es sei wichtig, den Dialog in Zukunft weiterzuführen und PolitikerInnen Informationen vorzulegen. Denn je häufiger die Agenda 2030 mit ihren nachhaltigen Entwicklungszielen erwähnt werde, desto größer sei die Chance, dass sich die Umsetzung der Agenda 2030 auch auf Themen wie Doppelbesteuerungsabkommen auswirke.
Weitere Links:
Broschüre: Steuer- und Entwicklungspolitik im Widerspruch? Die Rolle globaler Konzerne Broschüre: Die Unfaire Milch – Agrar- und Entwicklungspolitik im Widerspruch? Luckystar Miyandazi: Understanding illicit financial flows and efforts to combat them in Europe and Africa (ECDPM paper), Juni 2018 Tax Justice Network Africa, Action Aid: Still racing toward the bottom? Corporate tax incentives in East Africa, Juni 2016 Veranstaltungseinladung
Wolfgang Lapuh ist Leiter der Abteilung 2 in der Sektion VII im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA). Die Abteilung 2 ist für Entwicklungsfinanzierung und Sektoren der Entwicklungszusammenarbeit zuständig.
Sedumetsane Collen Lediga arbeitet in Bonn beim International Tax Compact sowie für die Addis Tax Initiative im Bereich Steuern und Entwicklung sowie zu Preismanipulationen im Handel. Davor arbeitete er für die südafrikanische Steuerbehörde als Senior Manager und war in dieser Funktion im African Tax Administration Forum, dem UN Tax Committee sowie in G20- und OECD-Arbeitsgruppen zu Ressourcenmobilisierung und Bekämpfung von Steuervermeidung tätig.
Luckystar Miyandazi arbeitet zu Fragen des internationalen Steuersystems, illegitimer Finanzflüsse sowie Ressourcenmobilisierung im Rahmen des African Institutions Programme am European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Brüssel. Davor war sie als Koordinatorin für die Tax Power Kampagne von ActionAid International tätig, die in 15 afrikanischen Ländern Mobilisierungsaktivitäten durchführte.
Petra Navaras Berufsweg führte über 20 Jahre durch verschiedene Funktionen der österreichischen Entwicklungspolitik; zuletzt war sie Geschäftsführerin der AG Globalen Verantwortung. Seit 2017 widmet sie sich Projekten der Erinnerungskultur und der Integration.
Martina Neuwirth arbeitet zu internationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC). Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit österreichischen, europäischen und internationalen Steuerpolitiken im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Länder des Globalen Südens.
Sophie Veßel ist Fachreferentin bei der AG Globale Verantwortung und arbeitet dort zu den Themen Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) und Menschenrechte sowie zur Rolle des Privatsektors in der Entwicklungszusammenarbeit.
(sv), (kkr)