Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Bericht
Der diesjährige Sustainable Development Report zeichnet erneut ein ernüchterndes Bild: Bei aktuellem Tempo werde keines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2023 auf globaler Ebene erreicht werden. Ein SDG-Stimulus soll dazu beitragen, die globale Finanzarchitektur zu reformieren und Lücken zur Finanzierung der Agenda 2030 zu schließen. Auch Österreichs Engagement ist gefragt: Im Spillover-Ranking nimmt der Staat abermals einen der hinteren Plätze ein.
Der jährlich erscheinende Bericht – den 2023 das Sustainable Development Solutions Network (SDSN) diesmal ohne Beteiligung der Bertelsmann Stiftung verfasste – bietet einen Überblick über Fort- sowie Rückschritte, den UN-Mitgliedstaaten im Vorjahr bei der Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) machten.
Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie wie auch weiterer multipler Krisen erzielten die UN-Mitgliedstaaten das dritte Jahr infolge mehr Rück- als Fortschritte in der weltweiten Umsetzung der Agenda 2030. Kommt in diese nicht rasch Bewegung, werden die UN-Mitgliedstaaten keines der 17 SDGs und nur rund 18% der 169 Unterziele bis 2030 erreichen.
Besonders weit vom Ziel entfernt sind die UN-Mitgliedstaaten bei SDG 2 (kein Hunger) sowie SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen). Aber sie hinken auch beim Schutz der biologischen Vielfalt an Land und im Meer (SDG 14 und 15), bei der Verringerung von Umweltverschmutzung in Städten (SDG 11) und von Plastikverschmutzung (SDG 12) sowie der Förderung starker Institutionen und friedlicher Gesellschaften (SDG 16) nach.
Einige Fortschritte erzielten die UN-Staaten im Rahmen von SDG 6 (sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen): Im internationalen Schnitt verbesserte sich der Zugang zu wichtiger sanitärer Infrastruktur. Ähnliches ist bei SDG 7 (erschwingliche und saubere Energie) und SDG 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur) zu beobachten. Allerdings gibt es große nationale Unterschiede und die verzeichneten Fortschritte reichen nicht aus, um diese Ziele bis 2030 zu erreichen.
Die Autor*innen des Sustainable Development Report schätzen, dass nur rund 18% der Unterziele auf dem Weg sind, bis 2030 erreicht zu werden: Etwa Gesundheitsziele, wie die Senkung der Sterblichkeitsrate von Neugeborenen und Kindern unter fünf Jahren, oder ein verbesserter Zugang zu grundlegenden Infrastrukturen und Dienstleistungen wie Mobiltelefonen, Internet oder Bankkonten.
Die ersten 20 Plätze beim SDG-Index belegen europäische Länder. Doch auch sie stehen vor großen Herausforderungen, vor allem beim Klimaschutz, dem Erhalt der Ökosysteme oder bei nachhaltigen Lebensmitteln.
Diese 10 Länder schneiden im Ranking am besten ab:
Österreich liegt im diesjährigen SDG-Ranking mit 82,28 von 100 Punkten auf Platz 5, obwohl der Staat laut Bericht erst zwei SDGs erreicht hat: SDG 1 (keine Armut) und SDG 7 (bezahlbare und saubere Energie).Ein Ergebnis, das nur im internationalen Vergleich standhält, da Österreich weit davon entfernt ist, Armut tatsächlich beseitigt zu haben. Laut Statistik Austria lebten im Jahr 2022 über 200.000 Menschen in Armut, das sind 2,3% der österreichischen Gesamtbevölkerung.
Schlecht schneidet Österreich in Hinblick auf SDG 12 (verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster) ab, wofür voranging übermäßiger Elektroschott, produktionsbedingte Stickstoff-Emissionen und der Export von Kunststoff- oder nicht wieder verwertbaren Abfällen verantwortlich sind. Gleiches gilt für SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz), insbesondere wegen hoher CO2-Emissionen, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, in der Zementproduktion oder bei Importen entstehen.
Für ein besseres Abschneiden bei SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele) sorgte Österreich vor allem mit höheren öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA), die im Jahr 2022 um 0,08% auf 0,39% des Bruttonationaleinkommens anstiegen. Dies ist erfreulich, liegt aber hauptsächlich daran, dass Unterstützungszahlungen für Geflüchtete, die sich im vergangenen Jahr wegen des Krieges gegen die Ukraine massiv erhöhten, ebenfalls in die ODA eingerechnet werden können. Diese Ausgaben machten im 2022 mehr als 20% der Entwicklungshilfeleistungen aus und sind somit fast für den gesamten Anstieg der österreichischen ODA verantwortlich.
Während Länder hohen Einkommens im SDG-Ranking tendenziell gut abschneiden, nehmen sie die letzten Plätze im Spillover-Ranking ein. Dieses Ergebnis beruht auf der Tatsache, dass die Handels-, Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitspolitik wohlhabender Staaten, aber auch das Konsumverhalten ihrer Einwohner*innen, teils verheerende Auswirkungen auf Mensch und Natur anderswo auf der Welt haben. Sogenannte Spillover-Effekte entstehen etwa durch die Inkaufnahme schlechter Arbeitsstandards entlang internationaler Lieferketten, die hohe Nachfrage nach Rohstoffen, deren Anbau die lokale Biodiversität gefährdet (z.B. Palmöl), sowie die Auslagerung emissionsintensiver Produktionsprozesse. So zählt die globalisierte Textil- und Bekleidungsindustrie zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen. Zudem untergraben Spillover-Effekte die Bemühungen betroffener Staaten, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die erheblichen Kosten, die dabei entstehen, können Länder des Globalen Südens kaum ausgleichen.
Österreich belegt im Spillover-Ranking mit einem Score von 59.85 lediglich Platz 152 von 166. Die AG Globale Verantwortung begrüßt, dass die Bundesregierung auf das wiederholt schlechte Abschneiden reagiert und plant, im zweiten Freiwilligen Nationalen Umsetzungsbericht zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele (FNU) Österreichs, den sie 2024 den Vereinten Nationen vorlegen wird, auch auf Spillover-Effekte einzugehen. In Österreich treten Spillovers insbesondere entlang von Lieferketten global agierender Unternehmen auf, weshalb sich die AG Globale Verantwortung für ein umfassendes EU-Lieferkettengesetz einsetzen. Um Spillover-Effekte zu vermeiden, sind Staaten sowie Staatenbündnisse also nicht nur gefragt, die weitreichenden Auswirkungen ihrer Politiken zu verstehen und zu messen, sondern politische Entscheidungen und Maßnahmen im Interesse nachhaltiger Entwicklung zu treffen.
Spillover-Effekte: Die letzten Plätze belegen …
166. Singapur165. Vereinigte Arabische Emirate164. Island163. Mauretanien162. Luxemburg161. Niederlande160. Belgien159. Zypern158. Bahamas157. Schweiz156. Qatar155. Litauen154. Norwegen153. Brunei152. Österreich
Wie der Titel bereits verrät, liegt der diesjährige Fokus auf dem sogenannten SDG-Stimulus, mit dem die Staatengemeinschaft im Februar 2023 auf aktuelle, sich gegenseitig verstärkende Krisen reagierte. Aufgrund des Krieges gegen die Ukraine und anderer Konflikte, der Klimakrise, der Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, hoher Inflationsraten und der wachsenden Schuldenlast vieler Länder ist die derzeitige globale Finanzarchitektur (GFA) nicht in der Lage, Investitionen zur Erreichung der SDGs in erforderlichem Tempo und Umfang zu kanalisieren. Der SDG-Stimulus soll dazu anregen, das globale Finanzsystem gerechter zu gestalten und beispielsweise Schulden umzustrukturieren, um hochverschuldeten Ländern finanzielle Spielräume zu eröffnen.
Empfehlungen lauten etwa, mindestens 500 Mrd. US-Dollar für nachhaltige Entwicklungsfinanzierung bis 2025 zu mobilisieren und die Kreditvergabe von multilateralen Entwicklungsbanken auszuweiten, unterstützt durch neue Kapitaleinzahlungsrunden von wohlhabenden Ländern.
Weil eine internationale Zusammenarbeit im Rahmen der UN-Charta – dem Gründungsdokument der Vereinten Nationen – wesentlich ist, um die SDGs zu erreichen, hat das SDSN erstmals einen Index eingeführt, der das multilaterale Engagement der UN-Mitgliedstaaten misst. Dieser vergleicht unter anderem die Anzahl der von Ländern ratifizierten UN-Verträge und ihrer Mitgliedschaften in UN-Organisationen, ihr Engagement für Weltfrieden sowie ihre Solidaritäts- und Finanzierungsanstrengungen. Argentinien, Barbados, Chile, Deutschland, Jamaika und die Seychellen erhielten die meisten Punkte, doch kein Land erreichte die höchstmögliche Punkteanzahl für ihre multilateralen Bemühungen.
Der Sustainable Development Report urteilt zur Halbzeit der 15 Jahre, in denen Regierungen die Agenda 2030 umsetzen sollen, dass sich diese nicht genug anstrengen. Dabei gibt es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen Ländern: Einige Länder des Globalen Südens – z.B. der Benin, Ghana, Indonesien, Nigeria und der Senegal – zeigen ein vergleichsweises bemerkenswertes Engagement für die Ziele.
Insgesamt ist allerdings klar: Alle Staaten, arme wie reiche, sollten die Zwischenzeit nutzen, um ihre nationalen SDG-Strategien selbstkritisch zu überprüfen und zu überarbeiten. Darüber hinaus sollten sich die Länder zu mehr Multilateralismus verpflichten. Das SDSN ruft Regierungen dazu auf, die Umsetzung der SDGs im eigenen Land, aber auch international zu beschleunigen . Etwa, indem sie negative Spillover-Effekte verringern und eine globale Governance- und Finanzarchitektur entlang des SDG-Stimulus aufbauen.
(pk)