Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Analyse
Eineinhalb Jahre nach dem Beschluss der 2030 Agenda und der darin enthaltenen UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) veröffentlichten die österreichischen Bundesministerien eine erste Darstellung, wie sie bereits zu einigen der Ziele beitragen. Eine umfassende Bestandsaufnahme, eine Lückenanalyse oder ein übergeordneter Plan, der sicherstellt, dass zukünftig alle Ziele umgesetzt werden, stehen noch aus.
Über drei Jahre dauerte die Erarbeitung und Verhandlung der 2030 Agenda und der SDGs. Alle UN-Staaten waren eingebunden, die EU – und auch Österreich – spielten eine wichtige Rolle bei der Erstellung der umfassenden, universellen und integrierten Agenda. Auf zahlreichen UN- und EU-Treffen brachten österreichische VertreterInnen Positionen ein und haben dadurch einen bedeutenden Beitrag zur finalen Version der 2030 Agenda geleistet. Zusätzlich hatte Österreich durch den Vorsitz im ECOSOC (UN Economic and Social Council) eine tragende Rolle inne. Die Teilnahme des Bundespräsidenten und von vier MinisterInnen beim UN-Gipfel 2015, auf dem die Resolution mit dem Titel „Transforming our World“ beschlossen wurde, brachte das Engagement und Interesse Österreichs an der Agenda ebenfalls deutlich zum Ausdruck. Vor den versammelten UN-Mitgliedstaaten erklärte der damalige Bundespräsident Heinz Fischer schließlich „The Agenda 2030 presents us with the opportunity to make sustainable development a reality. But it also gives us significant responsibility to implement, follow-up and review the progress made towards achieving the goals we set for ourselves. In designing and implementing our national strategies, as well as our monitoring and accountability mechanisms, we have to work together with our national parliaments, supreme audit institutions, civil society, and all other relevant stakeholders.“
Nach dieser feierlichen Erklärung und dem Beschluss im September 2015 war in Österreich von der angekündigten „Transformation“ jedoch kaum etwas zu bemerken – der Prozess schien ins Stocken geraten zu sein. Obwohl die Ziele und Unterziele eigentlich bereits im Juli 2014 festgestanden sind, schien man noch keinen Plan zu haben, wie man die universelle Agenda umsetzen werde, wer verantwortlich sein wird und welche konkreten (neuen) Schritte zur Verwirklichung gesetzt werden. Es dauerte schließlich bis Jänner 2016 – nachdem 95 NGOs gemeinsam an die Bundesregierung für eine rasche Umsetzung appellierten – bis in einem Ministerratsvortrag vage (auf einer halben Seite) die österreichische Umsetzung beschrieben wurde. Der Anfangs geheime Ministerratsvortrag ist mittlerweile der Öffentlichkeit zugänglich. Die Umsetzung wird hier in etwa folgendermaßen beschrieben: Die Bundesministerien werden beauftragt, die SDGs in die relevanten Strategien und Programme zu integrieren und „gegebenenfalls“ entsprechende Aktionspläne und Maßnahmen auszuarbeiten. Zudem wird eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, welche Fortschrittsberichte und Prioritäten in der Umsetzung koordinieren soll. Die Leitung der Arbeitsgruppe liegt beim Bundeskanzleramt und beim Außenministerium, wobei es eine „insbesondere Einbeziehung“ von BMASK, BMLFUW und BMWFW gibt und alle weiteren befassten Ressorts einbezogen werden sollen. Die Einbeziehung anderer relevanter staatlicher und nicht-staatlicher AkteurInnen soll über die bestehenden Strukturen in den einzelnen Ministerien geschehen. Eine übergeordnete Strategie und längerfristige Planung sind nicht vorgesehen. Aus Sicht zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen ist die Herangehensweise zur Umsetzung der 2030 Agenda und der SDGs durch Österreich noch nicht zufriedenstellend. In einem gemeinsamen Brief an alle Mitglieder der Bundesregierung (sowie der StaatssekretärInnen) forderten 144 Organisationen, die in der 2030 Agenda enthaltenen Visionen, als übergeordneten Leitfaden für politisches Handeln in allen Bereichen österreichischer Politik umzusetzen. Österreich solle ein Vorreiterland für Nachhaltige Entwicklung werden. Basierend auf Beispielen, wie andere Länder die 2030 Agenda umsetzen, wurden konkrete Vorschläge für nächste Schritte erarbeitet und eingebracht. In den Antworten auf den Brief wurde auf diese Vorschläge nicht eingegangen. Es scheint wenig neues und transformatives Potential in den SDGs zu gesehen zu werden: Ein wesentliches Element, sei das „Aufbauen auf bestehenden Strukturen“, Partizipation werde in „gewohnter Weise“ in den „etablierten Stakeholder-Foren“ geschehen schreiben Bundeskanzler Kern und Bundesminister Kurz in ihren fast identen Antwortschreiben. Welche neuen Schritte erfolgen werden, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Auch auf der offiziellen Homepage www.sdg.gv.at heißt es „Zur Umsetzung der „Agenda“ 2030 sollen insbesondere bestehende Strukturen, etablierte Diskussionsforen und -plattformen genutzt werden, um somit eine kohärente, verwaltungseffiziente und dem Ressortprinzip entsprechende Umsetzung zu erreichen.“ Zudem wurde in den Antworten angekündigt, die Bundesministerien werden eine gemeinsame Darstellung ihrer Aktivitäten zur Umsetzung der Agenda 2030 veröffentlichen, die als Basis für einen intensivierten Dialog dienen soll.
Eineinhalb Jahre nach dem Beschluss der 2030 Agenda und der SDGs wurde schließlich von den Bundesministerien am 24. März 2017 diese Darstellung mit dem Titel „Beiträge der Bundesministerien zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch Österreich – Darstellung 2016“ auf der Homepage www.sdg.gv.at veröffentlicht. Deren Zweck wird im Vorwort folgendermaßen erklärt: „Die Darstellung 2016 zur Umsetzung der Agenda 2030 durch Österreich soll den Diskurs mit der interessierten Öffentlichkeit fördern und zugleich als Vorarbeit für die Berichterstattung beim Hochrangigen Politischen Forum der Vereinten Nationen [HLPF] dienen“ (S.4). Wie die Darstellung den Diskurs fördern wird und wie sie zur HLPF-Berichterstattung beitragen könnte, wird nicht erwähnt. Zum ersten Punkt steht lediglich im Impressum „Rückmeldungen: Ihre Überlegungen zu vorliegender Publikation übermitteln Sie bitte an [Mailadresse Bundeskanzleramt].“ Beim freiwilligen Bericht an das HLPF im Jahr 2020 wird Österreich deutlich mehr vorlegen müssen, um sich im Vergleich mit den anderen Ländern mithalten zu können. Österreich wird dort nämlich als eines der letzten Länder berichten, im Gegensatz zu fast allen anderen Westeuropäischen Ländern wollte man 2016 und 2017 noch nicht präsentieren. Bis dahin werden fast fünf Jahre seit dem Beschluss vergangen sein, Österreich sollte in der Umsetzung also deutlich vorangeschritten sein.
Bei der neuen Darstellung handelt es sich weder um eine wirkliche Bestandsaufnahme (welche laut www.sdg.gv.at im Sommer 2015 gestartet wurde) oder Lückenanalyse, noch um einen Plan, wie man kurz-, mittel- und langfristig die SDGs bis 2030 umsetzen wird. Es werden beispielhaft einzelne (längst) bestehende Maßnahmen aufgezählt, die irgendwie in Verbindung zu den SDGs stehen. Kriterien für die Beispiele gab es scheinbar keine. Bis auf sehr wenige Ausnahmen (wie etwa bei SDG13 auf S. 36) wird ausschließlich in die Vergangenheit geschaut, anstatt auf das Zieljahr 2030. Wie sich die Ziele gegenseitig beeinflussen (könnten) wird nicht behandelt. Hier gibt es zwar ein Kapitel zu „Querschnittsthemen“, wobei unklar ist, wie diese ausgewählt wurden und wie sie konkret in allen Bereichen umgesetzt werden (z.B. der als Querschnittsthema bezeichnete Bereich „Kultur“). Im offiziellen Text der 2030 Agenda kommen Querschnittsthemen gar nicht erst vor, es wird stets von einem „integrated Approach“ gesprochen, also dass es Querverbindungen zwischen beinahe allen Zielen gibt.
Den wichtigsten Neuerungen durch die SDGs, nämlich Nachhaltige Entwicklung als ein großes Ganzes zu sehen, mit Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen den Zielen, einem universellen Ansatz und eine holistische Herangehensweise für gegenwärtige lokale und globale Herausforderungen, wird die Darstellung daher nicht gerecht. Dafür wird der „Mainstreaming-Ansatz“ erneut als „strategischer Rahmen“ präsentiert, wodurch „die SDGs in effizienter, zielorientierter und eigenverantwortlicher Weise in sämtliche Aktivitäten der österreichischen Politik und Verwaltung integriert“ werden. Dass Österreich in vielen Bereichen der SDG-Umsetzung bereits tätig ist und daher bestehende Strukturen bestmöglich für die SDG-Umsetzung genützt werden sollten, liegt auf der Hand. Wie man aber ohne übergeordnete und ressortübergreifende Strukturen und klaren politischen Verantwortlichkeiten Zielkonflikte adressiert, mögliche Lücken identifiziert und die Umsetzung in allen Bereichen vorantreibt, bleibt offen. Man scheint die Verantwortung auf alle Ministerien aufzuteilen und vollstes Vertrauen zu haben, dass von ihnen alle Ziele umgesetzt werden – ohne einen übergeordneten (vorausschauenden) Plan, angepasste Strukturen, klare politische Verantwortlichkeiten, kritisches und partizipatives Berichtswesen und politischen Willen und eine entsprechende Führungsrolle durch die oberste politische Ebene.
Ob die Umsetzung der 2030 Agenda und der SDGs erfolgreich ist, kann man unter anderem an der Frage erkennen, was anders wäre, hätte man die SDGs nicht beschlossen. Bisher fällt die Antwort auf diese Frage in Österreich eher enttäuschend aus. Die 2030 Agenda und die SDGs entstanden aus einem gemeinsamen Problembewusstsein der UN-Mitgliedstaaten und der Erkenntnis, dass sich auf lokaler und auf globaler Ebene etwas ändern muss. Alle Länder haben sich nach langen Verhandlungen auf gemeinsame Ziele geeinigt – jetzt müssten die Länder liefern und zeigen, dass sie ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen. Nachdem die Umsetzung in Österreich lange ins Stocken geraten schien, stellt die oben erwähnte Darstellung nun endlich einen ersten Schritt in Richtung Transparenz und Partizipation dar, schließlich gab es bis dahin fast keine ressortübergreifende Informationen zur Umsetzung der Agenda, über die Arbeit der interministeriellen SDG-Arbeitsgruppe gab es keinerlei Informationen für die Öffentlichkeit. Es fehlen aber nach wie vor eine strukturierte und transparente Bestandsanalyse, eine darauf aufbauende Lückenanalyse und ein daraus resultierender Plan, wie man die Lücken füllt und so alle Ziele bis 2030 erreicht. Zudem braucht es, wie es auch in der 2030 Agenda festgeschrieben ist, entsprechende Partizipationsmechanismen, die über „etablierte Strukturen“ (also business-as-usual) hinausgehen. Ein wichtiger Schritt hierfür wäre Leadership der politischen Ebene, die sich bisher fast gar nicht zu den SDGs äußert. Hier wäre es wichtig die Umsetzung nicht zu verschleppen, die SDGs als Chance zu begreifen, sie als positive Zukunftsvision zu nutzen und entsprechend langfristig und strukturiert dem Jahr 2030 entgegenzuarbeiten.
Weitere Links:
– ÖFSE Kommentar: Sind die SDGs bei den PolitikerInnen angekommen?
– Gute Beispiele, wie andere Länder die 2030 Agenda umsetzen, findet man in einer Veranstaltungsdokumentation des britischen Dachverbands Bond: Implementing the SDGs: Further lessons from Finland, Colombia, Germany and Uganda
– In mehreren parlamentarischen Anfragen haben die Grünen Informationen von verschiedenen Bundesministerien zur Umsetzung der SDGs eingefordert. Die Anfragen und Beantwortungen sind hier unter dem Suchbegriff „Entwicklungsziele“ zu finden.
(jm)