Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Presseaussendung
Anlässlich des Welttages der Humanitären Hilfe appellieren humanitäre Organisationen erneut an die Bundesregierung, zusätzliche 200 Mio. Euro insbesondere für Impfprogramme bereitzustellen
„Am afrikanischen Kontinent sind die Infektionszahlen seit Verbreitung der Delta-Variante um 500 % gestiegen, es sind die höchsten seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Sieben der zehn Staaten mit der niedrigsten Impfrate liegen südlich der Sahara. Doch sind erst 2 % der afrikanischen Bevölkerung vollständig gegen COVID-19 immunisiert, in Europa sind es schon über 42 % (siehe Grafik). Dabei lebt fast jeder sechste Mensch auf der Welt in einem afrikanischen Land, nur jeder hundertste in einem europäischen. Mit Blick auf den morgigen Welttag der Humanitären Hilfe ist dieses eklatante Ungleichverhältnis nicht nur eine moralische Tragödie, sondern für uns alle gesundheitlich und wirtschaftlich gefährlich“, erklärt Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung, dem Dachverband von 34 Organisationen aus den Bereichen Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, bei einem gemeinsamen Presse- und Fototermin mit zivilgesellschaftlichen Organisationen vor dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) heute Vormittag (18.08.2021).
„Solange nicht ausreichend Menschen überall auf der Welt geimpft sind, bedrohen weitere COVID-19-Mutationen das Leben von Millionen von Menschen. Sie könnten den bestehenden Impfschutz unterlaufen und zu neuen Ausbrüchen sowie Lockdowns auch in Österreich führen. Damit wir alle wieder ein Stück sicherer werden, ist es ein Gebot der Stunde, dass Österreichs Regierung mehr in internationale COVID-19-Hilfe, insbesondere Impfprogramme, investiert“, führt Vilim weiter aus und ergänzt: „Die besten Impfstoffe sind wertlos, wenn sie nicht verabreicht werden können. Denn für ein erfolgreiches Impfmanagement braucht es auch eine funktionierende Logistik, Administration, Berichts- und Qualitätssicherungssysteme, Informations- und Mobilisierungskampagnen sowie flächendeckende Testmöglichkeiten. All diese Schritte stellen das Impfmanagement ärmerer Länder vor enorme Herausforderungen.“
„Die österreichische Bundesregierung möge daher zusätzlich 200 Mio. Euro an bilateralen Mitteln für internationale COVID-19-Hilfe, insbesondere für Impfprogramme, zur Verfügung zu stellen. Das ist in etwa jene Summe, die ein Tag Lockdown dem österreichischen Staat kostet“, appelliert Vilim. „Die Bundesregierung kann jederzeit auf die Expertise österreichischer Nichtregierungsorganisationen zählen: Sie kennen die Situation vor Ort und wissen, welche Maßnahmen dringend benötigt werden, um das Infektionsrisiko zu mindern und impfen zu ermöglichen“, verleiht sie dem Appell Nachdruck.
So informiere Licht für die Welt barrierefrei in Projektländern, etwa über Impfungen: „Die Pandemie zeigt auf, dass eine inklusive Gesundheitsversorgung bitter nötig ist. Denn Menschen mit Behinderungen sind besonders gefährdet, sich zu infizieren. Daher nutzen wir unterschiedlichste Medien und Kanäle, um in unseren Projektländern beispielsweise in Braille, nationaler Gebärden- und einfacher Sprache über Virus, Präventionsmaßnahmen und Impfung zu informieren“, erklärt Rupert Roniger, internationaler Geschäftsführer von Licht für Welt.
Menschen zu erreichen sei in vielen Ländern ein Problem, führt Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, aus: „Das Rote Kreuz ist über seine Schwestergesellschaften in 152 Ländern in zumindest eine impfbezogene Aktivität involviert.“ Es sei nicht nur wichtig, Menschen über nationale Kampagnen zum Impfen zu bewegen: „Auf der untersten Ebene in Gemeinden über Freiwillige zu helfen, ist entscheidend, um diese Pandemie wirklich beenden zu können. Dieses Ende liegt leider noch in weiter Ferne“. In vielen Ländern würde zudem eine gewisse Impfskepsis herrschen, bekräftigt Sebastian Corti, Geschäftsführer von World Vision Austria: „Wir investieren viel in die Aufklärung der lokalen Bevölkerung.“
Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von CARE Österreich, betont den ungleichen Impffortschritt zwischen Frauen und Männern: „Zwar stehen Frauen weltweit bei der Pandemiebekämpfung an vorderster Front, beispielsweise als KrankenpflegerInnen. Doch haben sie etwa im Südsudan bislang nur 25 % der verfügbaren Impfdosen erhalten, obwohl mehr als 70 % der COVID-19-Erkrankten Frauen sind. Wir möchten die Versorgungslage in Ländern wie dem Südsudan rasch verbessern, wie wir es schon in Indien mit einem COVID-CARE-Center und im Nordirak, wo wir auch Gesundheitspersonal ausbilden, mit dem Bau eines Impfzentrums geschafft haben“, führt Barschdorf-Hager aus.
Auch vertriebene und geflüchtete Menschen in Camps seien von der Versorgung mit Impfstoffen weitestgehend abgeschnitten, so Susanne Drapalik, Präsidentin des Arbeiter-Samariter-Bundes Wiens. In der näher rückenden kalten Jahreszeit werden die Hygienebedingungen zu einem Problem, sie würden die schnelle Ausbreitung von COVID-19 erleichtern: „Damit der Virus kein leichtes Spiel hat, verbessern wir die Hygienestandards in den von uns betreuten internationalen Flüchtlingscamps laufend. Darüber hinaus würde der Samariterbund sogar über notwendiges Know-how, geschultes Personal und Infrastruktur verfügen, um vor Ort Impfungen durchzuführen. Wir sind jederzeit dazu bereit. Doch das ist derzeit eine Illusion, denn wo kein Impfstoff, da kein Impfen.“
„Die Menschen in den ärmsten Ländern sind mit multiplen Krisen konfrontiert, wie die Klimakatastrophe, aber auch die Erdbebenkatastrophe in Haiti oder die neuerlichen Gewaltausbrüche in Afghanistan, zeigen. Gleichzeitig rollt eine weitere COVID-19-Infektionswelle auf sie zu, die im weiteren Verlauf auch unseren Alltag abermals auf den Kopf stellen kann. Wir bleiben dabei: Wir sind erst sicher, wenn alle sicher sind. COVID-19 besiegen wir nur weltweit oder gar nicht“, schließt Andreas Knapp, Generalsekretär für internationale Programme der Caritas Österreich.
(hh)