Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Kommentar der Anderen
Warum das 0,7 % Ziel überholt ist und Entwicklungspolitik immer zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit beitragen muss
Ein Kommentar von Markus Haas
Welche Rolle kann und soll die Wirtschaft bei der Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung einnehmen? Wie können entwicklungspolitische Organisationen und die Wirtschaft zusammen an der Erreichung der Ziele mitwirken?
Wer sich mit der Historie der Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, wird feststellen, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit verschiedene Phasen durchlaufen hat: von der Modernisierungstheorie im Marshall-Plan, über die Dependenztheorien, die eine „Dissoziation“ der Dritten Welt forderte, bis zum Neoliberalismus der 90er Jahre, der wiederum für das genaue Gegenteil, nämlich mehr Markt und weniger Staat eintrat (nachzulesen in Friedbert Ottachers Buch „Entwicklungspolitik im Umbruch“). Befinden wir uns derzeit (noch) in der Post-Development Phase, die sich gegen die Verwestlichung der Gesellschaften im globalen Süden stemmt, oder wohin soll sich die Entwicklungszusammenarbeit orientieren? Ich behaupte, wir befinden uns auf dem Weg hin zur „Social Entrepreneurship“ Phase, in der Sinnstiftung abseits wirtschaftlich (notwendiger) Gewinne im Mittelpunkt steht und Wirtschaft und soziales Engagement in Einklang gebracht werden.
Fakt ist, dass wir vielen Zielen – angefangen vom Kampf gegen den Hunger, Krankheiten, die Inklusion von benachteiligten Gruppen – sehr nahegekommen sind. Zwei Beispiele dazu: über die letzten zwanzig Jahre konnte die extreme Armut um zwei Drittel von 1,7 Mrd. Menschen auf 550 Mio. gedrückt werden. Die Kindersterblichkeit sank in derselben Zeit von 10 Mio. auf 5 Mio., und das obwohl die Menschheit in dieser Zeit um fast 30% angewachsen ist. Wie schon Ban Ki-moon als Generalsekretär sagte: „Wir sind die erste Generation, die die Armut beenden und die letzte, die den Klimawandel stoppen kann“.
Zu tun gibt es also noch genug. Doch welches sind die richtigen Wege zur Umsetzung der Agenda 2030? Um die in der Agenda 2030 enthaltenen nachhaltigen Entwicklungsziele der vereinten Nationen (SDGs) zu erreichen, müssen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Gerade die Wirtschaft ist in diesem Zusammenspiel ein wichtiger Hebel: Vergleicht man die globalen ausländischen Direktinvestitionen (FDI), also Investitionen von Firmen außerhalb ihres eigenen Landes, so betrugen diese zuletzt rund USD 700 Mrd., die globalen Gelder für Entwicklungszusammenarbeit rund USD 200 Mrd. Bedenkt man den Multiplikator-Effekt, so ist der Hebel der Wirtschaft noch größer.
Zur Diskussion stellen möchte ich aber auch die Definition des so oft zitierten 0,7% Entwicklungshilfe-Ziels (ODA, Official Development Aid). Die zu erreichende Quote beläuft sich auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens, wobei hier einige Unschärfen vorhanden sind: wiewohl Waffenlieferungen ausgenommen sind, werden Umschuldungen von Staatsschulden nach wie vor zur Berechnung der ODA Quote herangezogen. Was jedoch mit dem Geld davor angeschafft worden ist, bleibt im Dunkeln. Auch kann durch wiederholte Hilfslieferungen eine Abhängigkeit entstehen, die einen gegenteiligen Effekt hat. Das Ziel von Entwicklungszusammenarbeit muss daher immer sein, die Grundlage für wirtschaftliche Unabhängigkeit zu schaffen.
Infolge der SDGs entstehen gerade eine Reihe von Wirkungsparametern, die nicht nur die Auswirkungen philanthropischer Tätigkeit, sondern auch die des wirtschaftlichen Handelns leichter messbar machen. Zudem steigt der Druck aus der Gesellschaft an die Wirtschaft, Sinn zu stiften und den Wert ihres Handelns nicht nur am monetären Ertrag zu messen. Viele Probleme sind jedoch auch über monetäre Incentives und wirtschaftliche Modelle lösbar. Denken wir nur an Social Bonds oder Impact Investment Fonds, die den Geldgebern eine Rendite einbringen und gleichzeitig zu einer Nachhaltigen Entwicklung beitragen. NGOs und Wirtschaft bewegen sich jedenfalls aufeinander zu: NGOs go business and Businesses go social.
Ich bin daher der Meinung, dass Entwicklungszusammenarbeit vor allem auch eine Starthilfe für Social Enterprises, die zur Umsetzung der SDGs beitragen, sein soll. Diese Unternehmen sollten mit einer schwarzen Null bilanzieren und vor allem eine möglichst positive Wirkung ihres Tuns im Sinne der Agenda 2030 zum Ziel haben. Das Ergebnis wäre eine Re-orientierung des Kapitals hin zu mehr Sinn, ein höherer Wirkungshebel durch wirtschaftliche Kreisläufe und die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele anhand nachvollziehbarer, konkreter Messzahlen.
Markus Haas ist Absolvent der Wirtschaftsuniversität Wien (Handelswissenschaften und Betriebswirtschaft) und hat nach seinem Master of International Management an der HEC Paris den Diplomlehrgang der Diplomatischen Akademie in Wien besucht. Neben seiner Berufserfahrung in der Pharma- und Metallbranche war er elf Jahre im Ausland, zunächst als stellvertretender Wirtschaftsdelegierter in Damaskus, New Delhi und New York und leitete zuletzt als Wirtschaftsdelegierter das AußenwirtschaftsCenter Algier. Seit 2017 ist er als Leiter des Netzwerk Projekte International der WKO für die Themen Export- und Projektfinanzierung, IFIs und Wirtschaft und Entwicklung zuständig.
In der Rubrik „Kommentar der Anderen“ bietet die AG Globale Verantwortung ExpertInnen die Möglichkeit, aktuelle und relevante entwicklungspolitische Themen zu kommentieren sowie ihre Meinung zu präsentieren. Das Ziel ist, Debatten über Entwicklungspolitik zu ermöglichen, den demokratischen Diskurs zu fördern und die Bedeutung der Umsetzung der Agenda 2030 hervorzuheben. Die inhaltliche Verantwortung für den Text liegt ausschließlich bei den Autoren. Die AG Globale Verantwortung teilt nicht notwendigerweise die vorgetragenen Ansichten.