Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Kommentar der Anderen
Die Notwendigkeit für ein faires und transparentes internationales Staateninsolvenzverfahren zeigt sich in der aktuellen Krise deutlicher denn je. Bereits 2021 – inmitten der pandemiebedingten Wirtschaftskrise – haben 85 Länder des Globalen Südens ihre öffentlichen Ausgaben (u.a. im Bildungsbereich) gekürzt, um stattdessen ihren Schuldendienst bedienen zu können. Die von den G20 ergriffenen Entschuldungsmaßnahmen haben bislang keine substantiellen Schuldenerlasse ermöglicht
Ein Kommentar von Malina Stutz
Die Debatte um ein Staateninsolvenzverfahren (siehe Infobox) ist so alt wie die Schuldenkrisen, die dadurch gelöst werden sollen. Und so alt sind auch die Gegenargumente, etwa von politischen Entscheidungsträger*innen. Entschuldung würde nur Symptome kurieren. Wenn nur der Schuldner weniger korrupt sei, dann hätte man kein Schuldenproblem mehr.
Ich sehe das anders. Solange Kredite vergeben werden und Staaten im Globalen Süden darauf angewiesen sind, Kredite aufzunehmen, wird es auch Schuldenkrisen geben. Denn kreditfinanzierte Investitionen können schiefgehen. Externe Schocks – wie die aktuelle Corona-Krise – können die Rückzahlung zuvor aufgenommener Gelder zum Problem werden lassen und die Kreditvergabebereitschaft internationaler Anleger wird zu einem großen Teil von globalen Faktoren wie den Rohstoffpreisen und den Zinssätzen im Globalen Norden bestimmt.
Das alles führt dazu, dass Schuldenkrisen nicht allein durch eine verantwortliche Kreditaufnahme und Verwendung in den Ländern selbst zu vermeiden sind. Daher braucht es faire und effiziente Strukturen, durch die sich überschuldete Staaten von der untragbaren Schuldenlast befreien können. Und wenn nötig, immer wieder befreien können.
Die Verschuldung von Ländern des Globalen Südens ist über die letzten zehn Jahre kontinuierlich gestiegen. Bereits 2019 hatte die öffentliche und private Verschuldung von Ländern im Globalen Süden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mit 220 Prozent einen einmaligen Höchstwert angenommen. Auf diese Situation traf die Corona-Pandemie, die weltweit zu Wirtschaftseinbruch und zu sinkenden Staatseinnahmen führte und gleichzeitig öffentliche Ausgaben zur Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen umso notwendiger machte. Zu Beginn der Pandemie rechneten viele, darunter auch der IWF, die Weltbank, Ratingagenturen und führende Politiker*innen aus dem Globalen Norden, mit reihenweisen Zahlungseinstellungen und gaben sich daher durchaus krisenbewusst. Der IWF erließ 31 Niedrigeinkommensländern zwischen April 2020 und Januar 2022 den an ihn anfallenden Schuldendienst. Die G20 Staaten boten 73 einkommensschwachen Staaten im Rahmen der sogenannten Debt Service Suspension Initiative (DSSI) die Stundung des Schuldendienstes an.
Durch die bisher ergriffenen Maßnahmen des IWF und der G20 wurden jedoch lediglich Forderungen in Höhe von 850 Millionen US-Dollar gestrichen. Das entspricht noch nicht einmal ein Prozent der von der UNO geforderten Summe. Weitere 10,3 Milliarden US-Dollar – und damit weniger als 5 Prozent des gesamten Schuldendienstes von Niedrig- und Mitteleinkommensländern – wurden im Rahmen der DSSI vorübergehend ausgesetzt. Die gestundeten Zahlungen müssen jedoch ab 2023 zuzüglich zu den dann ohnehin anfallenden Schuldendienstverpflichtungen zurückgezahlt werden. Statt Schulden zu streichen, wurde die weitere Bedienung des anfallenden Schuldendienstes durch die Vergabe umfangreicher Hilfskredite vom IWF und multilateralen Entwicklungsbanken und durch die Kürzung öffentlichen Ausgaben (u.a. im Bildungsbereich) in den Schuldnerstaaten ermöglicht. Doch die Krise ist dadurch nicht abgewendet; die Kosten wurden vielmehr einseitig auf die Bevölkerung der Schuldnerstaaten und in die Zukunft verlagert.
Die einzige strukturelle Reform der internationalen Schuldenarchitektur im Zuge der Corona-Pandemie ist die Schaffung eines neuen Verhandlungsforums durch die G20. Im Rahmen des sogenannten Common Frameworks for Debt Treatment beyond the DSSI (CF) wollen „traditionelle“ (z.B. Mitglieder des Paris Club) und „neue“ (z.B. China) öffentliche Gläubigerstaaten gemeinsam über notwendige Umschuldungen für Niedrigeinkommensländer verhandeln. Ein großer Wurf ist das jedoch nicht. Im Rahmen des CF wird, erstens, lediglich über öffentliche bilaterale Forderungen verhandelt. Gut 60 Prozent der Forderungen gegenüber Ländern des Globalen Südens werden jedoch von privaten Gläubigern gehalten. Zweitens werden Verhandlungen höchst intransparent geführt und die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Erlasse gewährt werden, liegt bei den Gläubigern selbst. Nennenswerte Selbstverpflichtungen oder verbindliche Regelungen fehlen und die Mitsprachemöglichkeiten für Länder des Globalen Südens sind weiterhin minimal.
Auch am bisherigen Outcome gemessen ist das CF keinesfalls erfolgreich: Da das neue Forum ebenso wie die bestehenden Strukturen keine Aussicht auf rasche und umfangreiche Erleichterungen verspricht, beantragten bisher nur drei Länder überhaupt Umschuldungen unter dem CF. Verbindliche Einigungen wurden – unter anderem aufgrund der Weigerung von privaten Gläubigern, sich an Erleichterungen zu beteiligen – bisher in keinem einzigen Land erzielt.
Durch das bisherige Schuldenkrisenmanagement im Kontext der Corona-Pandemie werden die Rechte der Gläubiger gegenüber den Menschenrechten der Bevölkerung von Schuldnerstaaten priorisiert. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines internationalen Verfahrens, durch das Umschuldungen und echte Erlasse in fairer und transparenter Weise gewährleistet werden können. Für zeitnahe Lösungen müssten alle ausstehenden Forderungen in einem einzigen umfassenden Verfahren verhandelt werden. Transparenz bei den Verhandlungen, eine unparteiische Entscheidungsinstanz und institutionalisierte Einflussnahmemöglichkeiten für Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus den verschuldeten Staaten sind zentral, um faire Verhandlungsergebnisse zu gewährleisten. Ein solches faires und transparentes Staateninsolvenzverfahren ist kein Allheilmittel, um die globalen Ungerechtigkeiten zu beseitigen, aber es ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren Welt.
Ein Staateninsolvenzverfahren würde kritisch verschuldeten Staaten einen geordneten Ausweg aus der Überschuldung ermöglichen. Ähnlich wie das Privatinsolvenzrecht die Eintreibung von Gläubigeransprüchen dort begrenzt, wo das Überleben des Schuldners in Würde gefährdet ist, soll ein faires und transparentes internationales Staateninsolvenzverfahren verhindern, dass grundlegenden Rechte der Bevölkerung des Schuldnerlandes durch eine untragbare Schuldenlast verletzt werden.
Malina Stutz ist politische Referentin bei erlassjahr.de. Nach Abschluss ihres Bachelorstudiums in Staatswissenschaften (Universität Erfurt) macht sie aktuell einen Master in Pluraler Ökonomik (Universität Siegen).
In der Rubrik „Kommentar der Anderen“ bietet die AG Globale Verantwortung Expert*innen die Möglichkeit, aktuelle und relevante entwicklungspolitische Themen zu kommentieren sowie ihre Meinung zu präsentieren. Das Ziel ist, Debatten über Entwicklungspolitik zu ermöglichen, den demokratischen Diskurs zu fördern und die Bedeutung der Umsetzung der Agenda 2030 hervorzuheben. Die inhaltliche Verantwortung für den Text liegt ausschließlich bei den Autor*innen. Die AG Globale Verantwortung teilt nicht notwendigerweise die vorgetragenen Ansichten.