Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Kommentar der Anderen
Am Black Friday zeigt sich die problematische Logik des grenzenlosen Wachstums besonders deutlich: Unternehmen rufen Rabattschlachten aus, um den Konsum weiter anzukurbeln. Das soll Wachstum sichern – ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt entlang von Lieferketten. Gibt es einen Ausweg aus der Spirale des „mehr, mehr, mehr“? Welche Lösungen bieten neue Ansätze wie Postwachstum? Welche Auswirkungen hätten sie auf die Menschen hier und im Globalen Süden?
Ein Kommentar von Anna Leitner und Felix Steinhardt
Die letzten Jahre und Jahrzehnte war unsere Wirtschaftspolitik geleitet von der grundlegenden Annahme, dass Wirtschaftswachstum zu Wohlstand führt. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“[1]
Doch was passiert, wenn der Kuchen zwar wächst, aber nur wenige etwas davon abbekommen? Obwohl die Wirtschaftsleistung Jahr für Jahr steigt, sind die Früchte dieses Wachstums zwischen den Ländern[2] und innerhalb der Länder[3] extrem ungleich verteilt. Die katastrophalen Konsequenzen des Wachstumsdrucks betreffen uns alle, den Gewinn streifen aber überwiegend die Reichen ein. Beyond Growth ist ein Weg aus dieser Doppelkrise aus Ungleichheiten und Klimakrise. Was genau bedeutet das also?
Unser derzeitiges Wirtschaftssystem ist auf Wachstum aufgebaut. Stagnierende Produktion oder auch nur unzureichende Zuwächse sind Vorboten von Rezession und Krise. Ein Wirtschaftssystem, das exponenziell wachsen muss, kann jedoch auf einem begrenzten Planeten nicht existieren. Überschreiten wir die Grenzen des Planeten – etwa durch den Abbau zu vieler Ressourcen oder das Emittieren zu vieler Schadstoffe –, schädigt das Mensch und Natur dauerhaft. Derzeit überschreitet unser Wirtschaftssystem sechs der neun planetaren Grenzen.[4][5] Der Druck zu mehr und höheren Profiten schafft Anreize, Produktionskosten durch ausbeuterische Arbeitsbedingungen, zumeist im Globalen Süden, zu senken. Der Wachstumsdruck zerstört so unsere Lebensgrundlage und führt zu ungerechter Verteilung von Wohlstand.
Um nachhaltigen Wohlstand für alle erwirtschaften zu können, muss unsere Ökonomie neu ausgerichtet werden. Statt Wachstum um jeden Preis zu verfolgen, muss das Ziel der wirtschaftlichen Aktivität sein, Bedürfnisse möglichst effektiv zu erfüllen. Das Donut-Modell von Kate Raworth kann unser Kompass für diesen Prozess sein: Der Donut beschreibt dabei den „Sweet Spot der Menschheit“,[6] der ein starkes soziales Fundament und eine ungebrochene ökologische Decke garantiert. Ein sicherer und gerechter Raum, in dem die Menschheit gedeihen kann.
Dieser Kompass macht deutlich, wie sehr wir uns in unserer Suche nach ewigem Wachstum verlaufen haben: Während die Industrieländer des Globalen Nordens soziale Bedürfnisse weitgehend decken können, überschreiten sie dabei empfindlich die planetaren Grenzen. Bei den Ländern des Globalen Südens ist es umgekehrt; sie bewegen sich zumeist innerhalb der ökologischen Limits. Doch können sie oftmals nicht alle Grundbedürfnisse ihrer Bewohner*innen decken, etwa in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Ernährung. Weder Länder hohen noch Länder niedrigen Einkommens befinden sich also innerhalb des Donuts.
Institutionen wie die EU oder die OECD reagieren auf diese Einsicht, indem sie die Wirtschaftsleistung von Ressourcenverbrauch entkoppeln wollen. Diese Entkopplung wird Grünes Wachstum genannt. Damit dieses erfolgreich ist, müsste es jedoch auf der ganzen Welt erreicht werden, und dies sowohl dauerhaft als auch in rasantem Tempo. Da diese Art von globalem, dauerhaftem und raschem Grünem Wachstum noch nie festgestellt werden konnte, äußern führende Expert*innen Zweifel daran, ob diese Entkopplung möglich ist.[7][8] Die Evidenz deutet also darauf hin, dass wir die Doppelkrise aus Ungleichheiten und Klimakrise nicht lösen können, indem wir hartnäckig weiter in Richtung endlosem Wachstum laufen. Nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert kann die Grenzen nicht ignorieren.
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Während der Donut anleitet, wohin wir uns bewegen wollen, stand die diesjährige Beyond Growth Konferenz Österreich ganz im Zeichen konkreter Lösungsansätze, wie genossenschaftliche Supermärkte, wachstumsunabhängige Unternehmen und dem Fokus auf Alltagsökonomie.[9]
Die Eröffnungsveranstaltung im österreichischen Parlament mit Teilnahme von SPÖ, Grüne, ÖVP und NEOS,[2] einem breiten Schulterschluss vielfältiger Organisationen und einer große Menge an konkreten Lösungsvorschlägen zeigt: Beyond-Growth-Ansätze nehmen an Fahrt auf. Doch mit zunehmendem Einsatz für eine Postwachstumsgesellschaft steigt auch die Gegenwehr. Es liegt an uns allen, die positiven Entwicklungen zu stärken!
Derzeit laufen die Planungen für weitere Beyond-Growth-Formate. Interessierte können sich über office@beyondgrowth.at melden.
[1] WKO (16.01.2024): „Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut“
[2] vgl. Hickel, J., Dorninger, C., Wieland, H., & Suwandi, I. (2022). Imperialist appropriation in the world economy: Drain from the global South through unequal exchange, 1990–2015. Global Environmental Change, 73, 102467. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2022.102467
[3] Kennickell, A. B., Lindner, P., & Schürz, M. (2022). A new instrument to measure wealth inequality: Distributional wealth accounts. Monetary Policy & the Economy, Q4/21, 61–84.
[4] Richardson, K., Steffen, W., Lucht, W., Bendtsen, J., Cornell, S. E., Donges, J. F., Drüke, M., Fetzer, I., Bala, G., Von Bloh, W., Feulner, G., Fiedler, S., Gerten, D., Gleeson, T., Hofmann, M., Huiskamp, W., Kummu, M., Mohan, C., Nogués-Bravo, D., Rockström, J. (2023): Earth beyond six of nine planetary boundaries. Science Advances, 9(37). https://doi.org/10.1126/sciadv.adh2458
[5] Überschrittene Grenzen: Intakte Biosphäre, klimatische Kipp-Punkte, Freisetzung von neuartigen Substanzen, die Veränderung biochemischer Stoffkreisläufe, Veränderung des Süßwassers und der Landnutzung. Intakte Grenzen: Abbau der Ozonschicht, Luftverschmutzung und Aerosolbelastung der Atmosphäre und Ozeanversauerung.
[6] Kate Raworth (o.D.): Want to get into the doughnut? Tackle inequality
[7] Parrique, T. (2019): The political economy of degrowth [Université Clermont Auvergne [2017-2020]; Stockholms universitet]
[8] Parrique, T., Barth, J., Briens, F., Kuokkanen, A., & Spangenberg, J. (2019): Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability. European Environmental Bureau.
[9] Mehr Lösungen gibt es im Factsheet. GLOBAL 2000: Werkzeuge für Postwachstum
GLOBAL 2000: Factsheet: Postwachstum für nachhaltige Entwicklung
www.beyondgrowth.at
Anna Leitner ist Campaignerin für Ressourcen und Lieferketten bei GLOBAL 2000. Dabei arbeitet sie an einer Vielzahl an Themen von Kreislaufwirtschaft über Postwachstum bis hin zu Plastik. Immer im Zentrum steht die Suche nach Lösungen und Organisationen, die zu einem guten Leben innerhalb der planetaren Grenzen beitragen. Schon im Studium Umwelt- und Bioressourcenmanagement galt ihr Interesse dem Zusammenspiel aus Gesellschaft und Umwelt.
Felix Steinhardt ist Projektkoordinator bei GLOBAL 2000 und beschäftigt sich dort mit der systemischen Transformation zu einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaftsweise. Zu seinen Aufgabenbereichen gehören die Kreislaufwirtschaft und Beyond Growth-Ansätze. Basierend auf seinen Studien der Physik und Socio-Ecological Economy and Policy legt er besonderes Augenmerk auf Transformationsprozesse, die über individuelle Verhaltensweisen hinausgehen.
In der Rubrik „Kommentar der Anderen“ bietet die AG Globale Verantwortung Expert*innen die Möglichkeit, aktuelle und relevante entwicklungspolitische Themen zu kommentieren sowie ihre Meinung zu präsentieren. Das Ziel ist, Debatten über Entwicklungspolitik zu ermöglichen, den demokratischen Diskurs zu fördern und die Bedeutung der Umsetzung der Agenda 2030 hervorzuheben. Die inhaltliche Verantwortung für den Text liegt ausschließlich bei den Autor*innen. Die AG Globale Verantwortung teilt nicht notwendigerweise die vorgetragenen Ansichten.