Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Interview
Anlässlich des Wechsels in der Geschäftsführung richtete das Team der AG Globale Verantwortung Fragen zur aktuellen österreichischen Entwicklungspolitik an die frühere Geschäftsführerin sowie ihren Nachfolger. Annelies Vilim ist seit Februar 2023 Sonderbeauftragte für Humanitäre Hilfe der österreichischen Bundesregierung, Lukas Wank übernahm die Leitung des Dachverbands mit April 2023
Dieses Interview erschien im Jahresbericht 2022 der AG Globale Verantwortung.
Annelies Vilim: Da gibt es viele … Als ich 2013 anfing, war der AKF bei 5 Mio. Euro, Kürzungen für bilaterale Projektmittel der ADA standen bevor. In vielen Gesprächen und mit unterschiedlichen Aktionen konnten wir dazu beitragen, die Kürzungen zu stoppen. 2023 beträgt der AKF 77,5 Mio. Euro und die bilateralen Mittel sind fast doppelt so hoch wie 2013.
Das Kapitel zur Entwicklungspolitik des aktuellen Regierungsprogramms wertet diese im Vergleich zu früheren auf, indem es Substanzielleres und mehr inhaltliche Punkte enthält. International gesehen ist der Beschluss der Agenda 2030 ein besonderes Highlight, ihre konsequente Umsetzung hinkt jedoch sehr nach. Und das ist gerade in Zeiten multipler Krisen und vielfacher menschlicher Not nicht akzeptabel.
Lukas Wank: Eine der vordergründigen Herausforderungen in der nächsten Dekade ist, eine Trendumkehr einzuleiten. Die Überlagerung unterschiedlicher Herausforderungen und die Zunahme an Konflikten weltweit haben zu gravierenden Entwicklungsrückschritten geführt. Beispielsweise steigen Armut und Ungleichheiten wieder, während die Halbzeit in der Umsetzung der Agenda 2030 bereits erreicht ist. Viele Staaten haben Mühe, den Kurs auf die SDGs zu halten. Uns läuft gewissermaßen die Zeit davon. Die Verschärfung der Klimakrise sowie die oft gleichzeitige Bewältigung von Konflikten und Fragilität erfordern eine koordinierte Herangehensweise – aber auch zeitgemäße Modelle der Zusammenarbeit und Investitionen in institutionelle Kapazitäten. Wie wir das bewerkstelligen, wird unser künftiges Verständnis von nachhaltiger Entwicklung prägen. Gleichzeitig sind wir gefragt, zu lernen, mit neuen entwicklungspolitischen Akteur*innen umzugehen und neben ihnen unsere Rolle neu zu definieren. Ich denke zum Beispiel an Entwicklungsbanken oder Ministerien, die nicht mit Außenpolitik betraut sind, an Consulting-Agenturen und auch an multinationale Konzerne oder Staaten wie China und die Golfstaaten.
Annelies Vilim: Etwa die Herausforderung, Worten Taten folgen zu lassen. Es gilt, vorhandene Konzepte umzusetzen, konsequent, mit Nachdruck und die dafür nötigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Es gilt, unterschiedliche Interessen- und Zielkonflikte politisch im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung zu entscheiden. So sollten Handels-, Agrar- und Rohstoffpolitik dazu beitragen, Armut auf der Welt zu reduzieren, damit Menschen nicht hungern müssen.
Die Zeit zaghaften Handelns in Silos ist angesichts multipler Krisen endgültig vorbei. Unterschiedliche Sektoren sind gefragt, gemeinsamen daran zu arbeiten, Hungerkrisen vorzubeugen, Pandemien einzudämmen oder die Folgen der Klimakrise zu bewältigen. Damit Menschen nicht von einer Krise in die nächste stolpern.
Lukas Wank: Meine bisherigen Arbeitsbereiche in der Friedens-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik, in der Humanitäre Hilfe sowie im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement ergänzen sich in vielfacher Hinsicht. Sie erhöhen die Wirkung und Treffsicherheit entwicklungspolitischer Maßnahmen vor Ort. Zudem ermöglicht die Expertise verschiedener Arbeitsfelder, gezielter auf die Bedürfnisse und Prioritäten betroffener Gemeinschaften einzugehen, ihre Partizipation zu fördern und Ownership zu erzeugen.
Die Zusammenarbeit verschiedener Akteur*innen ist entscheidend, um effektive Lösungen für komplexe Herausforderungen in Krisen- und Konfliktregionen zu finden und eine solide Grundlage für nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Erste Schritte in den nächsten Jahren sind ein vertiefender Wissensaustausch, entsprechende Lernprozesse und Kapazitätsentwicklung sowie die Weiterentwicklung von Konzepten, welche die angesprochene Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) fördern.
Annelies Vilim: Die Zusammenarbeit mit Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gehört weiter ausgebaut. Im guten Prozess im Vorfeld der SDG Dialogforen und der Innovationspools konnten die unterschiedlichen Stakeholder*innen voneinander profitieren und gemeinsame Lösungen formulieren, etwa zur Stärkung der Resilienz im Bereich der Ernährungssicherheit.
Die ODA-Quote 2022 von 0,39 % des BNE wird ohne mehr Mittel nicht zu halten sein, das zeigen Prognosen des BMF, die von einer sinkenden ODA-Quote in den nächsten Jahren ausgehen. Um bislang Erreichtes abzusichern, braucht es ein EZA-Finanzierungsgesetz. Ein Ministerium für nachhaltige Entwicklung wäre hilfreich, das politische Entscheidungen daran ausrichtet, Menschen ein menschenwürdiges Leben auf einem gesunden Planeten zu ermöglichen.
Lukas Wank: Auch wenn es noch einige Zwischenschritte geben wird, werden wir Gestaltungsmöglichkeiten, die sich uns bieten, konsequent nutzen. 2023 sind das der zweite Freiwillige Nationale Umsetzungsbericht zur Agenda 2030 (FNU) sowie das nächste Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2025 bis 2027. An beiden Prozessen sind wir beteiligt. Während der zweite FNU darlegen soll, wie es um PCSD in Österreich bestellt ist, wird sich die AG Globale Verantwortung dafür einsetzen, dass das nächste Dreijahresprogramm konkrete Maßnahmen zur Förderung von PCSD enthält.
Annelies Vilim: Etwa die Strategie der Humanitären Hilfe der Republik Österreich: Die darin angestrebte stärkere Abstimmung und wechselseitige Ergänzung von Humanitäre Hilfe, EZA und Friedensarbeit, die Förderung und Nutzung innovativer Formen von Humanitärer Hilfe sowie die Sicherstellung der Qualität entwicklungspolitischer Maßnahmen erlauben es Österreich, besser auf die genannten Herausforderungen zu reagieren. Zentral ist ihre ambitionierte Umsetzung. Dazu gehört, die Planungssicherheit tatsächlich zu erhöhen, aber auch präventive und antizipierende Katastrophenhilfe sowie Resilienz gezielt zu fördern. Zusätzlich wird es eine flexible und mehrjährige Finanzierung für Programme der Humanitären Hilfe brauchen.