Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Hintergrundartikel
Ein menschenwürdiges, gutes Leben für alle auf einem gesunden Planeten ist möglich. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine nachhaltige Entwicklungspolitik: Das bedeutet, dass alle politischen Maßnahmen Österreichs und der EU zur Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) weltweit beitragen und sie nicht behindern. Sie sollen also kohärent mit den Zielen der Entwicklungspolitik sein.
Wir haben uns drei Politikbereiche genauer angesehen, die für Länder des Globalen Südens große Bedeutung haben: Die Steuerpolitik im Bereich der Unternehmensbesteuerung, die Rohstoffpolitik im Bereich mineralischer Rohstoffe und die Agrarpolitik im Milchsektor. Dabei stellten wir uns folgende Frage: Tragen sie zur Erreichung der SDGs, also unter anderem zur Beseitigung von Armut (SDG 1) und Hunger (SDG 2), bei oder behindern sie diese?
Sogenannte Niedrigeinkommensländer verfügen über deutlich weniger Steuereinnahmen als Länder mit hohem Einkommen. Eine zentrale Ursache dafür ist das globale, intransparente Steuersystem, das Steuervermeidung und -hinterziehung durch globale Konzerne erleichtert. Laut UN verlieren afrikanische Staaten jährlich rund 89 Milliarden USD durch Kapitalflucht. Damit fehlen wichtige Mittel, um Armut zu reduzieren und multiple Krisen zu bewältigen – beispielsweise Hungerkrisen vorzubeugen, Pandemien einzudämmen oder die Folgen der Klimakrise zu bewältigen.
In unserem Fallbeispiel (2018) untersuchen wir Österreichs Beitrag zu Transparenzinitiativen der EU, steuerliche Vergünstigungen für Unternehmen sowie Doppelbesteuerungsabkommen mit Ländern des Globalen Südens (die Besteuerungsrechte zwischen zwei Staaten regeln) am Beispiel Albanien. Wir formulieren konkrete Empfehlungen an die österreichische Regierung, wie Österreichs Steuerpolitik entwicklungspolitische Ziele besser unterstützen kann. Zum Beispiel sollte die Regierung mögliche Auswirkungen steuerpolitischer Maßnahmen – wie Doppelbesteuerungsabkommen oder Vergünstigungen für Unternehmen – auf Länder des Globalen Südens analysieren.
Mineralische Rohstoffe (zum Beispiel Lithium oder Tantal) werden in modernen Technologien wie Handys oder Elektroautos eingesetzt, weshalb ihr Verbrauch in Ländern des Globalen Nordens massiv ansteigt. Viele Länder des Globalen Südens wiederum sind vom Export dieser Rohstoffe abhängig. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung bleibt aber vielfach aus, weil sie weder ausreichend staatliche Einnahmen noch genügend lokale Wertschöpfung und lokale Beschäftigung erzielen können. Der Bergbau- und Rohstoffsektor hat enorme soziale und ökologische Auswirkungen: So arbeiten viele Kinder im Bergbau anstatt in die Schule zu gehen und giftige Abwässer verschmutzen immer wieder Grundwasser, das zum Beispiel für den Anbau von Nahrungsmitteln gebraucht wird. Der Bergbau- und Rohstoffsektor stand 2017 im Vergleich zu anderen Industriezweigen mit den meisten Morden an Umweltaktivist*innen in Verbindung.
Österreich ist abhängig von Importen mineralischer Rohstoffe und setzt daher Maßnahmen, um seine Industrie mit diesen zu versorgen.
In diesem Fallbeispiel (2019) nehmen wir die Rohstoffstrategie Österreichs sowie seine Handels- und Investitionspolitik am Beispiel eines bilateralen Investitionsabkommens mit Armenien unter die Lupe. Wir thematisieren außerdem Österreichs Beitrag zu Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft, die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu stärken. Schließlich formulieren wir Empfehlungen, wie die Rohstoffpolitik besser zur Erreichung der Agenda 2030 beitragen kann. Zum Beispiel sollte die Regierung Investitionsabkommen mit rohstoffproduzierenden Staaten so überarbeiten, dass diese die politischen Spielräume dieser Staaten nicht einschränken, damit sie eine höhere Wertschöpfung im Land erreichen können und so den Rohstoffsektor für ihre nachhaltige Entwicklung nutzen können.
Die bisherige Agrar- und Subventionspolitik der EU, die vor allem große Betriebe unterstützt, sowie eine Liberalisierung des Milchmarkts trugen dazu bei, dass Österreich und die EU deutlich mehr Milch produzieren als sie benötigen und Milchpulver (etwa über Deutschland) nach Afrika und Asien exportieren. Milchbäuer*innen in Burkina Faso, das – unter anderem mit Unterstützung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit – versuchte, die Milchwirtschaft zu beleben, können diesem ungleichen Wettbewerb nicht standhalten: So kostete 2016 ein dort erzeugter Liter Milch 91 Cent, während ein mit importiertem Pulver hergestellter Liter nur 34 Cent kostete.
In diesem Fallbeispiel (2017) thematisieren wir Österreichs Beteiligung an der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und geben Empfehlungen ab, wie die Agrarpolitik besser in Einklang mit der Entwicklungspolitik gebracht werden könnte. Beispielsweise sollte die Regierung dafür Sorge tragen, dass Investitionszuschüsse in Österreich nur mehr für Modernisierungen oder Umbauten ausbezahlt werden und nicht für neue Produktionskapazitäten, da eine Ausweitung der Produktion in einem gesättigten Markt nicht sinnvoll ist.
Wo ist die sogenannte Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung verankert?
Der Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung (Policy Coherence for Development, PCD) besteht in Europa seit fast 40 Jahren. Er ist im Lissabon-Vertrag der EU, § 208 (2009) verankert, wurde im Europäischen Konsens für Entwicklung (2017) bestätigt und findet sich auch im österreichischen Gesetz für Entwicklungszusammenarbeit, §1(5) (2002)[1]. Mit dem Beschluss der Agenda 2030 und ihren 17 SDGs wurde das Konzept um den Aspekt der Nachhaltigkeit erweitert und ist nun in Indikator 17.14.1 enthalten. Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (Policy Coherence for Sustainable Development, PCSD) zielt darauf ab, die Aspekte von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit sowie nachhaltiger Regierungsführung (governance) in allen Phasen der nationalen und internationalen Politikgestaltung zu berücksichtigen.
Nationale Entscheidungen haben immer auch internationale Auswirkungen. Daher sollte die österreichische Regierung in jedem Politikbereich Verantwortung für Auswirkungen in anderen Ländern übernehmen und dazu beitragen, weltweit Armut zu reduzieren und gleichzeitig Umweltressourcen zu schonen. Eine gute Abstimmung aller Maßnahmen und Gesetze mit den Zielen der Entwicklungspolitik ist mehr denn je eine Notwendigkeit.
Um sicherzustellen, dass politische Maßnahmen die Erreichung der SDGs unterstützen und fördern, schlagen wir unter anderem vor: 1. Mögliche Auswirkungen politischer Maßnahmen auf Länder des Globalen Südens zu analysieren, 2. Geeignete Abstimmungsprozesse zwischen Ministerien sicherzustellen und 3. Eine zentrale politische Instanz einzurichten, die die Anpassung politischer Maßnahmen koordiniert, falls sie im Widerspruch mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen stehen. So können Synergien zwischen Politikbereichen geschaffen und negative Auswirkungen auf Länder des Globalen Südens sowie auf künftige Generationen vermieden werden.
Ein Vergleich (2021) mit acht anderen EU-Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission zeigt, dass in Österreich keine geeigneten Mechanismen bestehen, um politische Maßnahmen auf nachhaltige Entwicklung auszurichten. Gleichzeitig enthält er hilfreiche Beispiele aus anderen europäischen Ländern, die beschreiben, welche Maßnahmen und Abläufe die Abstimmung auf die Erreichung der SDGs unterstützen. Die Regierung könnte diese Beispiele aufgreifen. Wir setzen uns daher dafür ein, dass die österreichische Regierung konkrete Schritte setzt, um die Kohärenz politischer Maßnahmen mit den Zielen der Entwicklungspolitik zu überprüfen und zu verbessern. Denn nur so kann die Agenda 2030 umgesetzt und ein menschenwürdiges, gutes Leben für alle auf einem gesunden Planeten ermöglicht werden.
[1] „Der Bund berücksichtigt die Ziele und Prinzipien der Entwicklungspolitik bei den von ihm verfolgten Politikbereichen, welche die Entwicklungsländer berühren können.“
(sv)