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Die Europäische Union zählt zu den weltweit wichtigsten Akteur*innen der internationalen Entwicklung und Humanitären Hilfe. Ihr Engagement wirkt sich direkt auf das Leben von Menschen in der ganzen Welt aus. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die EU kohärente Politiken verfolgt, ausreichend finanzielle Mittel bereitstellt und eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet, um gerechte und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Angesichts der derzeitigen, sich gegenseitig verstärkenden Krisen sollte es für die EU oberste Priorität haben, sich weltweit für den Schutz des Klimas, der Menschenrechte und des Friedens einzusetzen und damit einen aktiven Beitrag zu globaler Gerechtigkeit und Stabilität zu leisten.

Nun haben wir überprüft, ob die Wahlprogramme der österreichischen Parteien, die zur EU-Wahl am 9. Juni 2024 antreten, unsere entwicklungspolitischen Forderungen (bzw. damit verbundene Themen, in kursiv) enthalten. Diese hatten wir den Parteien Anfang März übermittelt.

Werden die Spitzenkandidat*innen als künftige Mitglieder des EU-Parlaments …

  • Die Zivilgesellschaft und Demokratie weltweit schützen und fördern
    inklusive Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Pressefreiheit

  • Auf eine Feministische Außenpolitik fokussieren
    inklusive der Umsetzung der Frauenrechtskonvention, der Unterstützung von Frauenrechtsorganisationen und Gewaltschutz

  • Kohärent und glaubwürdig nachhaltige Entwicklung ermöglichen
    In unserem Vergleich konkret:
    – Negative Auswirkungen von EU-Politiken auf Länder des Globalen Südens vermeiden
    EU-Lieferkettengesetz lückenlos umsetzen

  • In eine lebenswerte Zukunft investieren
    In unserem Vergleich konkret: EU- Entwicklungsfinanzierung erhöhen

  • Prinzipientreue und bedarfsgerechte Humanitäre Hilfe sicherstellen
    inklusive Förderung des Humanitären Völkerrechts, Mittel für Humanitäre Hilfe und Krisenprävention

  • Klimagerechtigkeit als globale Verantwortung priorisieren
    inklusive der Reduktion der CO2-Emissionen, Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen

Die Grafik verschafft einen Überblick über die entwicklungspolitischen Positionen der Spitzenkandidat*innen, wobei sich unser Wahlprogramm-Check ausschließlich auf den Inhalt der EU-Wahlprogramme bezieht und nicht auf (entwicklungs-)politische Positionen, mit denen die Parteien darüber hinaus assoziiert werden. Im Folgenden gehen wir genauer auf die Wahlprogramme ein.[1]

Nutzen Sie Ihr Wahlrecht, denn am 9. Juni 2024 hat es die wahlberechtigte Bevölkerung der EU in der Hand, ob die EU in Zeiten massiver globaler Herausforderungen eine richtungsweisende Kraft für Demokratie, Menschenrechte und Stabilität bleibt.

ÖVP

Reinhold Lopatka

In ihrem EU-Wahlprogramm bekennt sich die ÖVP zu Freiheit, Demokratie und dem Rechtsstaat, Menschenrechte und Zivilgesellschaft nennt sie allerdings nicht. Qualitätsmedien will sie fördern und sich weltweit für Gewaltschutz einsetzen. Das kürzlich beschlossene EU-Lieferkettengesetz bezeichnet die ÖVP als „überbordend“, seine Maßnahmen sollen angepasst oder sogar zurückgenommen werden. Die ÖVP will eine wirtschaftliche „Überregulierung“ vermeiden und gleichzeitig die Arbeit mit der Welthandelsorganisation (WTO) intensivieren, zum Beispiel „faire Freihandelsabkommen unter Wahrung nationaler Interessen“ sowie „neue Handels- und Investitions(schutz)abkommen“ beschließen, ein faires Besteuerungsmodell für digitale Plattformen forcieren und Importzölle für Produkte, die aufgrund staatlicher Subventionen den Wettbewerb verzerren, einheben. Die EU-Entwicklungszusammenarbeit (EZA) will die ÖVP daran knüpfen, ob begünstigte Länder bei der „Reduzierung von Migration“ kooperieren. Klimaschutz soll es nur mit „Hausverstand“ geben und wird im Wahlprogramm mit Wirtschaftsinteressen verknüpft.

SPÖ

Andreas Schieder

Die SPÖ will die „Rechtsstaatlichkeit auf allen Ebenen“ verteidigen und Demokratie und Menschenrechte weltweit schützen und fördern, ebenso wie Frauen-, Minderheiten- und soziale Grundrechte. Die Zivilgesellschaft kommt in ihrem EU-Wahlprogramm wörtlich nicht vor. Geschlechtergleichstellung und die Europäische Charta der Frauenrechte seien Grundlagen für die europäische Demokratie bzw. für alle Politikbereiche sowie für soziale Sicherheit. Für eine konkrete Nachschärfung des EU-Lieferkettengesetzes, dass die EU-Mitgliedstaaten vor seinem Beschluss noch stark abgeschwächt haben, machen die Sozialdemokrat*innen konkrete Vorschläge. Und sie kritisieren, dass die EU-Handelspolitik nicht kohärent ist: Sie behindere nachhaltige Entwicklung in Ländern des Globalen Südens, anstatt diese zu ermöglichen. Die SPÖ setzt sich für ein „starkes Engagement“ für Entwicklungsprogramme und Humanitäre Hilfe ein, eine Erhöhung der dafür notwendigen Mittel thematisiert sie im Wahlprogramm aber nicht.

FPÖ

Harald Vilimsky

Die Freiheitlichen erklären in ihrem EU-Wahlprogramm, der EU Kompetenzen entziehen zu wollen, um sie den EU-Mitgliedstaaten zu geben, und sprechen sich in diesem Zusammenhang für direkte Demokratie aus. Das EU-Parlament, die Kommission sowie das EU-Budget sollen halbiert werden. Die FPÖ kritisiert den Einfluss von NGOs und fordert ein „Hausverbot“ für Lobbyist*innen im EU-Parlament sowie eine „vernünftige Umweltpolitik“ statt einer „EU-Klimadiktatur“. Den Green Deal will sie stoppen. Die Freiheitlichen kritisieren, dass das EU-Medienfreiheitsgesetz der „Pressefreiheit den Garaus“ mache und dass Wirtschaft, Industrie und Wettbewerbsfähigkeit „mutwillig zerstört“ würden. „Keine Waffenlieferungen und Milliardenzahlungen mehr an Kriegsparteien“ sondern eine „aktive Friedenspolitik“ fordern sie in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, einen EU-Beitritt der Ukraine unterstützen sie nicht.

Die Grünen

Lena Schilling

In ihrem EU-Wahlprogramm begrüßen die Grünen die „kritische Stimme“ der Zivilgesellschaft und fordern, dass alle politischen Maßnahmen mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 definiert haben, kohärent sein sollen. Sie sprechen sich daher für eine EU-Handelspolitik aus, die soziale und ökologische Standards verfolgt und Länder des Globalen Südens in der nachhaltigen Entwicklung unterstützt und nicht nur wirtschaftliche Interessen europäischer Unternehmen in Drittländern priorisiert. In diesem Sinne soll auch das EU-Lieferkettengesetz effektiv und effizient umgesetzt werden. Die Grünen fordern maßgebende Standards im Gewaltschutz für Frauen und dass alle Länder, die die Istanbul-Konvention ratifiziert haben, diese auch umsetzen. Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen gelte es weltweit zu verteidigen. Die Grünen wollen die ärmsten Länder der Welt im Klimaschutz und bei der Anpassung an die Auswirkungen der Klimakrise unterstützen. Die Klima- und Energiepolitik der EU ist für sie daher „nicht zuletzt eine Frage der Gerechtigkeit“. Die Mittel für EZA wollen sie aufstocken, nennen aber keine konkreten Zahlen.

NEOS

Helmut Brandstätter

Die NEOS erwähnen die Zivilgesellschaft nur in Zusammenhang mit einer gewünschten intensiveren Beteilung dieser an der Arbeit der EU-Kommission und mit der Stärkung der Zivilgesellschaft in Russland. Geschlechtergerechtigkeit und damit verbundene Anliegen thematisiert ihr EU-Wahlprogramm nicht. Die NEOS befürworten „wertebasierte Freihandelsabkommen“ und einen fairen Rohstoffhandel mit afrikanischen Ländern, wollen aber EU-Regulierungen reduzieren und – wie die ÖVP – alle EU-Gesetze und -Verordnungen mit Ablaufdaten versehen. Zum EU-Lieferkettengesetz positionieren sie sich nicht. Die EZA wollen die NEOS ebenfalls an Rückführungs- und Ausbildungsabkommen knüpfen und die Mittel, die die Mitgliedstaaten für EZA bereitstellen, „vergemeinschaften“ (und damit die EZA auf nationaler Ebene abschaffen).

KPÖ

Günther Hopfgartner

Die KPÖ geht in ihrem EU-Wahlprogramm konkret auf das Recht auf Asyl, das Recht auf Wohnen und auf Arbeitsrechte ein. Die Zivilgesellschaft möchte sie stärken. Sie verweist auf die Benachteiligung von Frauen, wegen der eine Neubewertung ihrer Lohn- und Sorgearbeit notwendig sei. Die Kommunist*innen betonen, dass die Klimakrise bestehende Ungleichheiten zusätzlich verschärft und dass Länder des Globalen Südens besonders betroffen sind, obwohl sie kaum zu ihren Ursachen beigetragen haben. „Das bedeutet einerseits eine Handelspolitik zu beenden, die Menschen die Lebensgrundlagen raubt, aber auch die nötigen Mittel bereit zu stellen, damit in den betroffenen Ländern Katastrophenschutz für alle ausgebaut werden kann“. Die EU soll sich an den entsprechenden EU-Prozessen beteiligen und sich international dafür einsetzen, dass die Mittel für Loss and Damage (durch die Klimakrise entstandene Verluste und Schäden) aufgestockt werden. Konzerne sollen „entlang ihrer Lieferketten für faire Arbeitsbedingungen und Entlohnung sowie ökologisch nachhaltige Produktion sorgen“. Die Mittel für Humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten will die KPÖ aufstocken und die „Kapazitäten zur zivilen Konfliktvermeidung und -vermittlung“ ausbauen. Zudem könne sich die EU als eine der reichsten Weltregionen eine EZA leisten, „die den Namen auch verdient“, „um Gesellschaften des globalen Südens solidarisch und ohne neokoloniale Beziehungen zu fördern“, kritisiert die KPÖ.

DNA

Maria Hubmer-Mogg

Die Liste DNA spricht sich in ihrem EU-Wahlprogramm für Menschen- und Bürgerrechte sowie einen „freien, unabhängigen und parteilosen Journalismus“ aus. Medien sollen ihre Zusammenarbeit mit NGOs und Stiftungen offenlegen. Das Mercosur-Abkommen und landwirtschaftliche Importe aus Billiglohnländern will sie verhindern und den Green Deal sowie das EU-Klimaschutzgesetz stoppen. Klimaschutz betrachtet die DNA nicht als Umweltschutz, eigene Energiequellen, etwa von Gas, sollten daher gefördert werden. Eine Datenbank soll die EU-Entwicklungshilfeleistungen transparent machen und „Steuergeldverschwendung innerhalb und außerhalb der EU“ gestoppt werden.

[1] Die Reihenfolge entspricht dem letzten Wahlergebnis aus dem Jahr 2019. Die Liste DNA (Demokratisch, Neutral und Authentisch) tritt 2024 erstmals bei einer EU-Wahl an.

(Team der AG Globale Verantwortung)


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