Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Bericht
Im seinem Inequality-Report kritisiert der europäische Dachverband CONCORD, dass die EU-Mitgliedsstaaten zu wenig gegen weltweite Ungleichheiten vorgehen. Sie sollten sich in ihrer internationalen Zusammenarbeit unter anderem mehr auf menschliche Entwicklung fokussieren, Geschlechtergerechtigkeit sowie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen fördern und mehr zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützen.
Steigende Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind infolge der COVID-19-Pandemie enorm angestiegen. In einem Artikel haben wir zusammengefasst, inwiefern die Pandemie Ungleichheiten in Bezug auf Vermögen, Einkommen, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsversorgung und zwischen Ländern verschärft hat.[1]
Ungleichheiten abbauen – das war auch ein Grundgedanke, als alle 193 UN-Mitgliedstaaten auf der Generalversammlung 2015 die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) verabschiedeten. Das zehnte Ziel, weniger Ungleichheiten, besagt unter anderem, dass bis 2030 “alle Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern” abgebaut werden sollen.[2] Für seinen Inequality-Report hat CONCORD, der europäische Dachverband für entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen, untersucht, wie sich EU-Staaten bei der Bekämpfung von Ungleichheiten schlagen.
Politische Zusagen sind zwar ein wichtiger Ausgangspunkt, um Ungleichheiten zu bekämpfen. Sie leiten an sich aber keine notwendigen Veränderungen ein. Während sich die meisten Mitgliedsstaaten in Programmplanungen, öffentlichen Erklärungen und Kooperationsstrategien dazu bekennen, Ungleichheiten verringern zu wollen, spiegelt sich ein ernstgemeintes Commitment nur bei wenigen Mitgliedsstaaten in eindeutig messbaren Zielen wider.
CONCORD hat analysiert, inwiefern EU-Mitgliedstaaten ihre Entwicklungszusammenarbeit auf Sektoren und Interventionen ausrichtet, die das Potenzial haben, Ungleichheiten zu verringern. Eins vorab: Ein klares Bild, welche finanziellen Mittel die Staaten dafür bereitstellen, lässt sich nicht zeichnen. CONCORD betrachtet insbesondere fünf Schlüsselaspekte:
Fokus auf menschliche EntwicklungBildung, Gesundheit, Wasser- und Abwasserversorgung, soziale Infrastruktur sowie andere Dienstleistungen und Nahrungsmittelhilfe: Nur wenn sich diese Bereiche komplementär ergänzen, können Ungleichheiten abgebaut und menschliche Entwicklung im Sinne des Human Development Index (HDI) verbessert werden – und damit letztlich die Lebensbedingungen von Menschen in Ländern des Globalen Südens. Die meisten Mitgliedsstaaten stellen zwischen 20 und 30% ihrer ODA für diese Sektoren bereit.
Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion von Menschen mit BehinderungenDer EU-Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter (EU Gender Action Plan)[3] schreibt fest, dass bis 2025 mindestens 85% aller neuen Maßnahmen, die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe setzen, zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen sollen. Die engagiertesten 13 Staaten erfüllen diese Vorgabe gerade einmal zu 40%. Darüber hinaus setzen nur wenige EU-Staaten spezifische Maßnahmen (Disability-marked Interventions), um die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Angesichts der Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen ca. 15% der Weltbevölkerung ausmachen und es daher viel größere Anstrengungen bräuchte, veröffentlichten wir 2022 ein Briefingpapier:[4] Darin zeigen wir auf, wie deren Inklusion im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gelingen kann.
Zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützenObwohl es Konsens darüber gibt, dass es die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen braucht, um gegen Ungleichheiten vorzugehen, unterstützen Mitgliedsstaaten die Zivilgesellschaft mit nur 6,9% ihrer ODA.
Länder des Globalen Südens brauchen höhere SteuereinnahmenDer Inequality-Report betont, dass Länder des Globalen Südens darauf angewiesen sind, zusätzlich zu öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen auch (mehr) Steuereinnahmen zu generieren, die sie bspw. für ihre Grundversorgung nutzen können. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, sie dabei zu unterstützen. Aber auch hier sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Lediglich fünf Mitgliedstaaten geben mehr als 0,2% ihres ODA-Budgets für solch eine Unterstützung aus. Steuerpolitische Erfolge bleiben also weiterhin aus: Noch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten haben die Addis-Tax-Initiative[5] unterzeichnet, entlang derer sie Länder des Globalen Südens dabei unterstützen sollen, Steuer- und Zollsysteme zu entwickeln, um ihre Steuerquoten langfristig zu erhöhen. Gleichzeitig haben Länder des Globalen Südens ihr Ziel, im Zuge des Domestic Revenue Mobilisation Programme ihre inländischen Einkünfte zwischen 2015 und 2020 zu verdoppeln, nicht erreicht.[6]
Ungleichheit als multidimensionaler AnsatzUngleichheiten erfolgreich und nachhaltig zu bekämpfen, erfordert einen mehrdimensionalen, intersektionalen Ansatz. Dieser berücksichtigt, das Menschen mehrfach Diskriminierung erleben können, z.B. in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität, Behinderungen, Race, ethnische oder soziale Zugehörigkeit. Das kann sich negativ auf ihre Gesundheit, Sicherheit, Bildung, gesellschaftliche Teilhabe sowie auf ihre Arbeit und ihr Einkommen auswirken. Gruppen oder Einzelpersonen, die mit mehrdimensionalen Ungleichheiten konfrontiert sind, bleibt letztendlich der Zugang zu Menschenrechten verwehrt.Der Inequality-Report zeigt nun, dass lediglich elf Mitgliedstaaten (darunter auch Österreich) einen multidimensionalen Ansatz in ihren Programmen nutzen.
Das Ziel von Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) ist es, dass Wirtschafts-, Handels-, Finanz-, Landwirtschafts-, Sicherheits-, Migrations-, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Klima- und Umweltpolitik kohärent mit entwicklungspolitischen Zielen agieren und dazu beitragen, die Agenda 2030 zu erreichen. CONCORD hat sich für den Inequality-Report drei Bereiche angeschaut:
Handel: Importe und WaffenhandelEinfuhren aus Ländern, die sich nicht an Standards der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI)[7] halten, können Ungleichheiten weiter verschärfen. Noch immer gibt es 17 Mitgliedstaaten (darunter Österreich), die nicht Mitglied der Initiative sind und Rohmineralien, Holz und Energieträger aus den ärmsten Ländern importieren, die ebenfalls nicht EITI-Mitglied sind.
Der Bericht zeigt zudem, dass Unternehmen aus 19 Mitgliedsstaaten (darunter Österreich) immer noch Waffen an LDCs, die sich im Krieg befinden, liefern. Belgien, Deutschland und Frankreich verkaufen sogar an mehr als zehn solcher Länder Waffen. CONCORD betont, dass EU-Staaten dadurch Konflikte weiter schüren und Ungleichheiten vertiefen.
Rechenschaftspflicht von UnternehmenEine Rechenschaftspflicht für Unternehmen hat das Potenzial, Ungleichheiten erheblich zu verringern. Angesichts des Umfangs des EU-Handels wäre eine Rechenschaftspflicht für Unternehmen ein effektives Instrument, um dafür zu sorgen, dass international agierende Unternehmen entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. CONCORD fand heraus, dass bislang nur Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich und die Niederlande dahingehende Gesetze vorgeschlagen oder verabschiedet haben.
Klimakrise In Bezug auf die Klimakrise würde Politikkohärenz zweierlei bedeuten: Zum einen sollen EU-Mitgliedsstaaten einen konkreten Plan vorlegen, mit dem sie ihre nationalen Klimabeiträge[8] – z.B. Treibhaus-Emissionen bis 2030 senken und sich an Auswirkungen der Klimakrise anpassen – erreichen wollen.
Zum anderen würde Politikkohärenz bedeuten, dass Mitgliedstaaten einen Plan vorlegen, wie sie ihren Energieverbrauch verringern können. Einige Mitgliedsstaaten (darunter Österreich) haben zwar einen Entwurf für die nationalen Klimabeiträge ausgearbeitet, jedoch nur acht Länder einen für Energiereduzierung. Davon bewertet die Europäische Kommission lediglich zwei Entwürfe als ausreichend.
Es zeigt sich also: Die Mitgliedsstaaten sind nicht bereit, die Folgen der Klimakrise – die sich wiederum in Ungleichheiten niederschlagen – anzugehen. CONCORD resümiert, dass jene Menschen in Ländern des Globalen Südens, die jetzt schon am stärksten unter der Klimakrise leiden, auch weiterhin die Hauptlast tragen. Damit verbundene Kosten in Form von Verlusten und Schäden sind groß. Die Untätigkeit der Mitgliedstaaten bedeutet, dass sie dabei sind, ihre entwicklungspolitischen Fortschritte der letzten Jahre zu untergraben.
Um die Frage zu klären, welche Instrumente EU-Mitgliedstaaten nutzen, um die von ihnen festgelegten Ziele zum Abbau von Ungleichheiten zu messen, hat CONCORD vier Elemente genauer untersucht:
Allgemein zeigt sich hier: Es gibt noch Luft nach oben, wenn es um konkrete Verfahren oder Leitlinien geht, mit denen Verpflichtungen in die Praxis umgesetzt werden sollen.
EU-Mitgliedstaaten können den Wohlstand in Ländern des Globalen Südens unter anderem durch öffentliche Entwicklungshilfeleistungen, Schuldenerlass, Steuergerechtigkeit oder die Finanzierung von Klimaanpassungsmaßnahmen erhöhen. Im Zuge des Pariser Klimaabkommens (2015) versprachen sie ihren Partnerländern eine Klimafinanzierung in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Diese Mittel sollen EU-Staaten zusätzlich zur ODA entrichten, um zu verhindern, dass Gelder an anderer Stelle fehlen.
CONCORD (2022): The road to equality: How do EU Member States address inequalities through international cooperation?
[1] AG Globale Verantwortung (05.10.2022): „It has never been more expensive to be poor“: Oxfam schätzt, dass 2022 zusätzlich eine Viertelmilliarde Menschen in extreme Armut rutschen
[2] Unterziele siehe SDG Watch Austria (o.D.): Weniger Ungleichheiten. Ungleichheiten in und zwischen Ländern verringern
[3] Europäische Kommission (o.D.): Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter – die Rechte von Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt des Engagements für eine gleichberechtigte Welt rücken
[4] AG Globale Verantwortung (27.04.2022): Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit
[5] Addis-Tax-Initiative (o.D.): About: Tax systems that work for people and advance the Sustainable Development Goals
[6] United Nations University (o.D.): Revenue Mobilisation programme
[7] siehe eiti.org
[8] UNFCCC (o.D.): Nationally Determined Contributions (NDCs)
(pk)