Baustelle unter einer Brücke
© Hannah Hauptmann

Die Coronapandemie macht als größte globale Gesundheitskrise seit Jahrzehnten bereits erreichte Entwicklungsschritte wieder zunichte und verstärkt bestehende Krisen. Eine solche ist die Schuldenkrise in Ländern des Globalen Südens. Zwar stieg die Schuldenrate zahlreicher Länder bereits vor Ausbruch der Pandemie kontinuierlich an, verstärkt durch die Pandemie erreichte die öffentliche Auslandsverschuldung von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jedoch ein Rekordhoch.

Eine hohe Schuldenlast stellt Schuldnerstaaten vor große Herausforderungen und beschneidet ihre (finanziellen) Handlungsräume bei der Bekämpfung der Pandemie und ihrer sozialen sowie wirtschaftlichen Folgen. Denn wenn das Geld in die Bedienung der Schulden fließt, muss der Staat sparen: Er kann beispielsweise nicht in das Gesundheitssystem investieren und nur begrenzt Impfstoffe kaufen, kann keine Sozialprogramme auflegen, um denjenigen zu helfen, die wegen der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Einige bilaterale Gläubiger haben zwar rasch Schuldenmoratorien beschlossen, das Ausmaß dieser Schuldenerleichterungen greift jedoch zu kurz und trägt nur zu einer geringfügigen Entspannung der Situation bei. Zivilgesellschaftliche Organisationen wiederholen daher seit Ausbruch der Pandemie gebetsmühlenartig, wie nötig und wichtig sowohl umfassende Schuldenerlasse für Länder des Globalen Südens als auch ein Rahmenwerk für eine nachhaltige Lösung von Schuldenkrisen wären.

Was sind öffentliche Schulden eigentlich?

Die Gesamtverschuldung eines Landes setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Schulden des privaten Sektors (private sector debt) und Schulden der öffentlichen Hand, also Staatsschulden (sovereign debt). Die folgenden Ausführungen fokussieren auf öffentliche Schulden.

Die OECD definiert öffentliche Schulden1 als externe Verpflichtungen eines Staates und öffentlicher Stellen. Es sind somit Schulden, die entstehen, wenn Regierungen und andere öffentliche Einrichtungen, aber auch staatliche Unternehmen, Geld bei einem anderen Staat, bei internationalen Finanzinstituten, bei einer Bank oder von privaten Unternehmen leihen. Zu den öffentlichen Schulden gehören aber auch nicht mehr rückzahlbare Schulden privater Unternehmen, für die ein Staat Garantien übernommen hat.

Werden diese Schulden im Inland aufgenommen, handelt es sich um Inlandsverschuldung (domestic debt). Werden sie jedoch bei externen Stellen im Ausland aufgenommen, ist die Rede von Auslandsverschuldung (external debt). Letztere können dabei anhand ihrer Kreditgeber kategorisiert werden:2

  • Bilaterale Gläubiger: Nimmt ein Staat einen Kredit bei einer Regierung eines anderen Staates auf, dann sind dies bilaterale Schulden. Dazu zählen auch Schulden privater Unternehmer, die im Garantiefall von einer staatlichen Institution übernommen werden.
  • Multilaterale Gläubiger: Kredite eines Staates bei multilateralen Entwicklungsbanken, der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sind multilaterale Schulden.
  • Private Gläubiger: Handelt es sich bei Gläubigern beispielsweise um Banken, Hedgefonds, Versicherungen oder andere private Geldgeber oder Investor*innen, sind dies private Schulden.

Wann sind Schulden problematisch?

Schulden sind per se nicht problematisch,3 denn sie sind ein wichtiges Finanzierungsvehikel für staatliche Investitionen4 in z.B. Gesundheitsversorgung, Bildungssysteme, Klimaschutz oder Investitionen zur Förderung von Gleichberechtigung. So weisen auch Länder des Globalen Nordens hohe Verschuldungsraten auf, meist sogar höhere als Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen. Aber während Länder mit hohem Einkommen eine hohe Verschuldung aufgrund ihrer Wirtschaftskraft in der Regel gut stemmen können, geraten Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen im Falle unvorhergesehener Krisen rasch in Zahlungsschwierigkeiten.

Problematisch wird es, wenn Regierungen nicht mehr in der Lage sind, ihre Schuldendienste zu begleichen und die Schuldenlast nicht mehr tragbar ist. Betroffene Staaten finden sich dann rasch in einer Spirale nach unten5 wieder, denn: Kann ein Staat seine Schulden nicht mehr bedienen, sinkt das generelle Vertrauen von Investor*innen in die Fähigkeit des Landes, Schulden zurückzuzahlen. Sie reagieren darauf, indem sie Zinssätze für bestehende Kredite erhöhen und weniger bereit sind, neues Geld für neue Investitionen bereitzustellen, da sie befürchten, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden. In weiterer Folge steht dem verschuldeten Staat weniger Geld zur Verfügung, nicht nur um seine aktuellen Schulden zu bedienen, sondern auch um wichtige Investitionen in öffentliche Infrastruktur zu tätigen – mit negativen Folgen für das ökonomische Wachstum. Ein geringeres Wachstum bedeutet wiederum geringere Einnahmen für den Staat, um Investitionen zu tätigen und Schulden zu bedienen. Wird diese Negativspirale nicht durch Entschuldungsmaßnahmen oder Moratorien durchbrochen, droht einem verschuldeten Staat der Verlust seiner finanziellen Handlungs¬- und Zahlungsfähigkeit. Müssen in Folge öffentliche Ausgaben etwa für Bildung, Gesundheit oder Sozialprogramme gekürzt werden, wirkt sich das meist besonders negativ auf Frauen, Kinder und andere vulnerable Gruppen (Menschen mit Behinderung, Menschen auf der Flucht, etc.) aus.

Status quo der Staatsverschuldung

Bereits vor Ausbruch der Coronapandemie war die Verschuldung vieler Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung auf einem Rekordhoch:6 So beliefen sich Ende 2019 die öffentlichen Schulden (im In- und Ausland) in Ländern mit niedrigem Einkommen bereits auf 44,2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), in Ländern mit mittlerem Einkommen sogar auf 54,7% des BIP.7 Diese hohen Schuldenraten haben sich sukzessive aufgebaut. Zum Vergleich: 2012 lag die Schuldenrate von Ländern mit niedrigem Einkommen noch bei 30,1% des BIP, jene von Ländern mit mittlerem Einkommen bei 37,1% des BIP. Verändert hat sich in diesem Zeitraum auch die Gläubigerstruktur bei öffentlichen Auslandsschulden: Während die Schulden bei traditionellen Gläubigern, wie den Mitgliedern des Pariser Clubs (siehe unten), zurückgegangen sind, haben jene bei „neuen“ Kreditgebern, insbesondere China, und privaten Kreditgebern zugenommen. Der Anteil privater Kreditgeber8 an öffentlichen Auslandsschulden von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen stieg zwischen 2012 und 2020 von 54% auf 63%.


Der Pariser Club

Der Pariser Club ist ein informeller Zusammenschluss bilateraler Gläubiger. Zu seinen 22 Mitgliedern zählen europäische Staaten (u.a. Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich), Australien, Kanada, Israel, die USA, Japan, Südkorea und Brasilien. Ziel des Gremiums ist es, koordiniert tragfähige Lösungen für Schuldenkrisen zu finden. So versucht der Pariser Club zwischen in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schuldnerländern und seinen staatlichen Gläubigern zu vermitteln und Umschuldungsvereinbarungen zu erreichen. Nach eigenen Angaben hat der Pariser Club seit seiner Gründung im Jahr 1956 bereits 477 Vereinbarungen mit 101 verschuldeten Ländern9 im Gesamtwert von USD 612 Mrd. getroffen. Jedoch wird er aufgrund seiner Intransparenz10 auch kritisiert, und seine Bedeutung wird zunehmend in Frage gestellt, zumal China nicht Mitglied beim Pariser Club ist.


Nach Ausbruch der Pandemie stiegen die Staatsschulden nochmals an11 und erreichten 2020 49,9% des BIP (Länder mit niedrigem Einkommen) bzw. 64% des BIP (Länder mit mittlerem Einkommen) – ein Anstieg von knapp sechs bzw. zehn Prozentpunkten innerhalb eines Jahres. Problematisch dabei ist, dass dieser Schuldenanstieg nicht von einem entsprechenden Wirtschaftswachstum oder einem Anstieg der Exporte begleitet wurde. Im Gegenteil: Sinkende Rohstoffpreise, der Zusammenbruch des Tourismussektors, Produktionsrückgänge und damit verbundene Lieferengpässe sowie ein Rückgang bei Auslandsinvestitionen und Rücküberweisungen aus dem Ausland (remittances) führten in vielen Ländern zu massiven Einnahmeausfällen,12 die sie zumindest teilweise durch Aufnahme weiterer Kredite zu kompensieren versuchten.

2020 rutschte erstmals ein Land – Sambia13 – im Kontext der COVID-19 Pandemie in die Zahlungsunfähigkeit, d.h. Sambia konnte seine Kredite und die damit verbundenen Zinsen und Zinseszinsen14 nicht mehr zurückzahlen (mehr zu Sambia: siehe Box). 2021 folgten weitere Länder, u.a. Belize15, Suriname16 und Argentinien17. 135 Länder des Globalen Südens gelten aktuell als mehr oder weniger kritisch verschuldet,18 d.h. die Schulden dieser Länder befinden sich im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung auf einem zu hohen Niveau.

1 OECD (o.D.): Glossary of Statistical Terms

2 Erlassjahr.de (o.D.): Handbuch Einstieg in das Schuldenthema für Entschuldungsaktivist/innen

3 International Monetary Fund (o.D.): Sovereign Debt

4,5 Erlassjahr.de (o.D.): Handbuch Einstieg in das Schuldenthema für Entschuldungsaktivist/innen

6 International Monetary Fund (Okt. 2021): Fiscal Monitor: Strengthening the Credibility of Public Finances

8 International Monetary Fund (o.D.): Sovereign Debt

7 Diese Zahlen wirken im Vergleich zu den Schuldenständen europäischer Staaten zunächst gering – Österreich verzeichnete beispielsweise 2019 einen Schuldenstand in Höhe von 70,5% des BIP. Europäische Staaten haben jedoch aufgrund ihrer hohen Wirtschaftskraft und Bonität Zugang zu Krediten mit günstigeren Konditionen und können ihre Schulden meist problemlos bedienen. Anders Länder des Globalen Südens: Sie stehen bereits bei geringeren Schuldenraten rasch vor der Herausforderung, ihre Schuldendienste nicht mehr bedienen zu können.

9 Paris Club (o.D.): Key Numbers

10 Erlassjahr.de (02.06.2016): Unhappy Birthday: Der Pariser Club wird 60

11 International Monetary Fund (Okt. 2021): Fiscal Monitor: Strengthening the Credibility of Public Finances

12 Erlassjahr.de (o.D.): Schuldenreport 2021

13 Erlassjahr.de (17.11.2020): Sambia: Erste Staatspleite im Kontext der Corona-Pandemie

14 Hierbei handelt es sich noch nicht um die Rückzahlung der Kredite. Zudem werden bei der Umschuldung Zinsen zusätzlich noch häufig kapitalisiert. Das hat zur Folge, dass die Schulden um ein Vielfaches steigen, als die ursprünglich aufgenommenen Kredite.

15 Bloomberg (15.11.2021): Belize Cures $553 Million Default With a Plan to Save Its Ocean

16 Eurodad (20.01.2021): Dam debt: Understanding the dynamics of Suriname’s debt crisis

17 Bank of Canada (Jun. 2021): BoC–BoE Sovereign Default Database: What’s new in 2021?

18 Erlassjahr.de (o.D.): Schuldenreport 2022


Download

AG Globale Verantwortung (Apr. 2022): Briefingpapier: Von der Coronakrise in die Schuldenkrise. Warum die Coronakrise auch die Schuldenkrise im Globalen Süden verschärft und welche Lösungsansätze es gibt


Links

(Ilona Reindl und Gabriel Eyselein, in Zusammenarbeit mit dem VIDC)