Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Bericht
Der diesjährige AidWatch Report von CONCORD beleuchtet, welche Rolle die Eigeninteressen der EU-Länder bei der Gestaltung der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen spielen. Er zeigt das Gesamtbild hinter der nicht eingehaltenen Verpflichtung der EU, mindestens 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfeleistungen bereitzustellen.
CONCORD übt in seinem neuen AidWatch Report 2024 scharfe Kritik an den EU-Mitgliedstaaten. Der entwicklungspolitische Dachverband auf EU-Ebene wirft ihnen vor, das Konzept der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA) zu verbiegen, um nationalen Interessen zu dienen, anstatt diejenigen zu unterstützen, die wirklich Hilfe benötigen. Trotz des Versprechens der Solidarität, das mit öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen verbunden ist, enthüllt der Bericht, wie Milliarden in eigennützige Projekte gesteckt werden: Die EU-Mitgliedstaaten melden überhöhte, umgeleitete Hilfszahlen (Inflated ODA), die den eigentlichen Zweck der internationalen Zusammenarbeit untergraben.
Laut AidWatch 2024 verbirgt sich hinter dem EU-Narrativ der globalen Solidarität ein System der Inflationierung und Fehlallokation von Hilfsgeldern. Dies kommt der europäischen Wirtschaft und der politischen Agenda mehr zugute als der Unterstützung der ärmsten Länder der Welt. Fast ein halbes Jahrhundert, nachdem die Vereinten Nationen das Ziel von 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die ODA festgesetzt haben, weist der Bericht auf eine angehäufte ‚Hilfsschuld‘ von über 1,2 Billionen Euro Europas gegenüber seinen Partnerländern hin – eine Schuld, die durch jahrzehntelang nicht eingehaltene Zusagen entstanden ist.
Besorgniserregend ist, dass die derzeitigen DAC-Regeln der OECD es den Mitgliedstaaten ermöglichen, erhebliche Teile ihrer Hilfe falsch auszuweisen und die Grenzen zwischen echter Hilfe und inländischen Ausgaben zu verwischen. Mehr als jeder fünfte von den EU-Mitgliedstaaten als ODA gemeldete Euro entspricht nicht den grundlegenden Kriterien für internationale Hilfe. Die Kosten für die Aufnahme von Geflüchteten, überhöhte Schuldenerlasse und dubiose Entwicklungsfinanzierungstransaktionen werden weithin als ODA angerechnet. Dies ist eine Praxis, die die Beiträge der EU falsch darstellt und die Rechenschaftspflicht Europas gegenüber seinen globalen Verpflichtungen schmälert.
Der Bericht hält sich nicht damit zurück, die Schuldigen zu benennen. Frankreich hat sein Entwicklungsbudget gekürzt und wird dieses wahrscheinlich noch weiter reduzieren. Selbst Schweden, das einst als Vorreiter bei der Erreichung des 1%-Ziels für die öffentliche Entwicklungshilfe gelobt wurde, zieht sich nun von seinen Verpflichtungen zurück. Das Land plant, die Entwicklungshilfeausgaben in den kommenden drei Jahren systematisch zu kürzen. „In einer Zeit zunehmender globaler Krisen ist es sehr beunruhigend zu sehen, dass Länder wie Schweden genau den Gemeinschaften den Rücken kehren, die sie mit ihrer Hilfe zu unterstützen versprechen“, sagt Åsa Thomasson, politische Beraterin bei CONCORD Schweden. „Schwedens Entscheidung, eine Obergrenze für die von Gebern zu tragenden Flüchtlingskosten festzulegen und diese eher als Zielvorgabe denn als Obergrenze zu behandeln, signalisiert eine beunruhigende Verlagerung hin zu Eigeninteressen. Schlimmer noch, sie fügen nicht förderfähige Ausgaben hinzu, um ihr Budget zu überhöhen, und verwandeln internationale Hilfe in eine reine Buchhaltungsübung.“
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben die EU-Mitgliedstaaten große Teile der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen zur Deckung der Kosten für die Unterbringung von Schutzsuchenden innerhalb ihrer Grenzen verwendet. Diese Kosten wurden dann als Entwicklungshilfeleistungen bezeichnet. Trotz der Kritik des Vorsitzenden des OECD-DAC wird diese Taktik häufig angewandt, selbst in Ländern, in denen die Zahl der ankommenden Geflüchteten deutlich zurückgegangen ist. Kurz gesagt: Was Europa als ‚Hilfe‘ bezeichnet, scheint immer mehr eine Subvention für inländische Sozialsysteme zu sein, die unter dem Deckmantel der internationalen Zusammenarbeit finanziert wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Europäische Kommission beschlossen hat, ihr geplantes Budget für internationale Zusammenarbeit um 2 Milliarden Euro zu kürzen. Diese Entscheidung räumt dem internen Haushaltsausgleich Vorrang vor Verpflichtungen gegenüber globalen Partnern ein. Welche Länder werden die Hauptlast dieser Kürzungen zu tragen haben? Und welche Botschaft wird damit an den Rest der Welt gesendet? Die Rhetorik der EU von Partnerschaft und Solidarität steht im Widerspruch zu solch eigennützigen Aktionen.
Österreich hat Schwierigkeiten, die eigenen ODA-Zusagen einzuhalten, da ein erheblicher Teil des gemeldeten Entwicklungshilfebudgets für inländische Ausgaben verwendet wird. Das Land bekennt sich zwar öffentlich zur Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit. Der Bericht zeigt jedoch, dass ein beträchtlicher Teil der österreichischen ODA durch die Anrechnung von Flüchtlingskosten im Inland als Entwicklungshilfe überhöht wird – ein Vorgehen, die echte Entwicklungszusammenarbeit untergräbt. Österreich hat das BNE-Ziel von 0,7% noch nicht erreicht. Die jüngsten Budgetzuweisungen lassen kaum Fortschritte in diese Richtung erkennen.
Diese Diskrepanz zwischen Worten und Taten, so warnt AidWatch 2024, untergräbt Österreichs Glaubwürdigkeit in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Ohne eine Abkehr von der Überhöhung der ODA-Zahlen durch inländische Ausgaben läuft Österreich Gefahr, weiter hinter seine Verpflichtungen zurückzufallen. Die Gesellschaften, die es zu unterstützen vorgibt, lässt es so im Stich.
„Dieser Moment erfordert Ehrlichkeit“, sagt Tanya Cox, Direktorin von CONCORD. „Wenn die EU wirklich Wert auf globale Partnerschaft legt, muss sie aufhören, sich hinter überhöhten Zahlen zu verstecken, und anfangen, sich auf greifbare Hilfe zu konzentrieren, die einen Unterschied macht. Echte Hilfe sieht nicht nur auf dem Papier gut aus – sie bringt den Menschen, die sie brauchen, sinnvolle Unterstützung.“
Der AidWatch Report 2024 zeigt eine ernüchternde Realität: Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit der EU ist zunehmend ein Instrument nationaler Interessen und nicht der internationalen Hilfe. Wenn die Mitgliedstaaten ihr Solidaritätsversprechen einlösen wollen, müssen sie über Lippenbekenntnisse hinausgehen und damit beginnen, echte, transparente Hilfe zu leisten.
(kk, ab)