Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Kommentar der Anderen
Die Details um das neue Lieferkettengesetz (EU-Richtline über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit) werden auf europäischer Ebene derzeit diskutiert. Seitens einzelner Unternehmen bzw. deren Vertreter*innen werden immer wieder Bedenken vorgeschoben, dass dieses Gesetz zu einem Rückzug von Unternehmen aus Ländern des Globalen Südens führen könnte. Damit sei das Lieferkettengesetz zum Nachteil der Menschen in ebendiesen Ländern. Aber ist dies wirklich der Fall?
Ein Kommentar von Johannes Jäger, Gonzalo Durán S. & Lukas Schmidt
Das geplante Gesetz der EU wird große europäische Unternehmen sowie Unternehmen, die nach Europa exportieren, verpflichten, die Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Auch der Finanzsektor soll nach Vorschlag des Europäischen Parlaments erfasst werden. Wie langjährige Erfahrungen gezeigt haben, ist es unzureichend auf Freiwilligkeit (z.B. im Sinne einer Corporate Social Responsibility) zu setzen, wenn es um Menschen- und Umweltrechte geht. Während sich zahlreiche NGOs, Gewerkschaften und Aktivist*innen für ein möglichst starkes und breit wirksames Lieferkettengesetz ohne Schlupflöcher einsetzen, kümmert sich bislang nur ein Teil der Unternehmen darum. Immerhin: Vor allem diejenigen, die schon bisher freiwillig entsprechende Standards eingehalten haben, aber auch viele andere Unternehmen stehen den neuen Regeln sehr positiv gegenüber. Dies obwohl das neue Gesetz einen gewissen administrativen Mehraufwand bedeutet und allfällig menschrechtliche Standards und Umweltstandards umgesetzt werden müssen.
Da es alle erfassten Unternehmen in den jeweiligen Sektoren gleichermaßen trifft, sind keine Wettbewerbsnachteile zu erwarten. Insbesondere die Verpflichtung für außereuropäische Unternehmen, die nach Europa liefern, sich an das Gesetz zu halten, trägt dazu bei, dass ein Level-Playing Field für alle geschaffen wird.
Dennoch gibt es einzelne Unternehmen, die angeben, sich infolge des Lieferkettengesetzes aus Ländern des Globalen Südens zurückzuziehen zu wollen. So hat beispielsweise ein großer deutscher Kaffeeröster angekündigt, möglicherweise keinen Kaffee mehr aus Äthiopien zu beziehen. Wie unsere Studie[1] zeigt, ist das nicht weiter problematisch. Es ist nämlich davon auszugehen, dass in solchen Fällen andere Unternehmen die entstehende Lücke füllen werden. Güter aus dem Globalen Süden werden nach wie vor in praktisch unverändertem Ausmaß nach Europa geliefert werden. Gleichzeitig würde ein effektives Lieferkettengesetz, wie Goliathwatch[2] beispielsweise für die Kaffeeproduktion konkret gezeigt hat, Menschrechtsverletzungen wie Kinderarbeit jedoch eindämmen. Unsere Studie zeigt überdies, warum der Globale Süden nicht nur weiter als Rohstofflieferant, sondern auch als Standort für Produktion erhalten bleiben wird. Es wird nämlich für Unternehmen weiterhin Kostenvorteile bringen, in diesen Ländern zu produzieren, auch wenn Menschen- und Umweltrechte nunmehr eingehalten werden müssen.
Das Lieferkettengesetz stärkt Arbeiter*innen im Globalen Süden direkt, da sich alle Unternehmen mit Europa-Bezug von sich aus um die Einhaltung der Menschrechte kümmern müssen. Damit können wichtige Arbeitnehmer*innenrechte direkt verbessert werden.
Das Lieferkettengesetz wirkt aber auch indirekt. Durch die Stärkung der gewerkschaftlichen Rechte und damit der erleichterten Organisierung von Arbeitnehmer*innen wird es für diese einfacher möglich, ihre Forderungen durchzusetzen. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sind damit zu erwarten. Auch im politischen Prozess werden durch das Gesetz indirekt Interessen von Arbeiter*innen sowie Umweltschutzinitiativen gestärkt. Überdies bietet die geplante gesetzliche Grundlage eine neue Basis für zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Nord-Süd-Kooperation.
Eine stärkere internationale Nord-Süd-Zusammenarbeit von Gewerkschaften und NGOs auf Basis internationaler Solidarität stärkt Menschen hier wie dort. Das Lieferkettengesetz ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung internationaler Sozial- und Umweltstandards. Aufbauend auf diesen rechtlichen Strukturen und Erfahrungen können weitere internationale Maßnahmen für eine gerechtere globale Wirtschafsstruktur ergriffen werden. Auch für Unternehmen bietet das Gesetz die Chance, althergebrachte Strategien über Bord zu werfen. Anstatt weiterhin auf Menschrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu setzen, fördert das Lieferkettengesetz eine vorwärts gerichtete Spezialisierung europäischer Unternehmen. Davon können sie langfristig profitieren.
[1] Jäger, Johannes; Durán, Gonzalo; Schmidt, Lukas (2023): Expected economic effects of the EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)
[2] Goliathwatch (März 2022): Mit einem STARKEM Lieferkettengesetz wäre das so nicht passiert. Die Hamburger Neumann Kaffee Gruppe & die Vertreibung in Uganda
Gonzalo Durán S. ist Assistenzprofessor an der Universidad de Chile und Mitarbeiter der gewerkschaftsnahen Forschungsinstitution Fundación SOL. Johannes Jäger ist Fachhochschulprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule des BFI Wien. Lukas Schmidt ist Geschäftsleiter von FIAN Österreich und Lektor an der Universität Wien sowie an der Fachhochschule des BFI Wien.
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