Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Ausblick
Verluste und Klimaschäden infolge von Erderhitzung und Umweltzerstörung sind eines der bestimmenden Themen bei der 27. Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Zur Halbzeit der COP27, die bald erreicht ist, wollen wir beleuchten, weshalb entwicklungspolitische Maßnahmen weiter an Bedeutung für Klimagerechtigkeit und -schutz gewinnen werden
Die 27. UN-Klimakonferenz von 6. bis 18. November 2022 wartet mit einer Arbeitsgruppe Loss and Damage auf, die sich mit der Frage befasst, ob und wie Menschen insbesondere in Ländern des Globalen Südens noch dabei unterstützt werden können, ihre Lebensweise an Folgen der menschenverursachten Klimakrise anzupassen. Dabei wird sie – ebenso wie andere Arbeitsgruppen, Komitees und Diskussionsrunden im Rahmen der COP27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh – nicht umhinkommen, sich auch mit immer lauter werdenden Rufen nach Klimagerechtigkeit auseinandersetzen. Inselstaaten und andere besonders betroffene Länder schlagen etwa Kompensationszahlungen vor: Die EU, USA und andere Staaten hohen sowie mittleren Einkommens, die rund 80% der weltweiten CO2-Emmissionen verursachen,[1] obwohl in ihnen nur 47% der Weltbevölkerung leben,[2] sollen für weltweite Verluste und Schäden im Zusammenhang mit der Klimakrise aufkommen. Denn bei einer Erderhitzung von 2 °C könnten Ernteausfälle weitere 189 Mio. Menschen in den Hunger treiben, bei 4 °C sogar 1,8 Mrd.[3]
Inwiefern reichere UN-Mitgliedstaaten künftig Klima- und Umweltschäden weltweit kompensieren sollen, werden die Ergebnisse der COP27 zeigen. Immerhin will Österreichs Klimaschutzministerium 2023 insgesamt 70 Mio. Euro für Klimafinanzierung, den Ausgleich von Verlusten und Schäden sowie klimarelevante Projekte in Ländern des Globalen Südens bereitstellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie unsere Mitgliedsorganisation Südwind begrüßen, dass die Bundesregierung signalisiert, Verantwortung übernehmen zu wollen, auch wenn der Betrag im Vergleich zu den Hochwasserschäden in Pakistan, die auf 40 Mrd. US-Dollar geschätzt werden, „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“ sei.[4] Joachim Raich, Südwind-Sprecher für Klimagerechtigkeit, fordert, dass es sich bei Kompensationszahlungen um zusätzliche Zuschüsse handeln müsse, die über einen starken institutionellen Rahmen, etwa auf EU- oder UN-Ebene, vergeben werden.
Bis zu 3,6 Mrd. Menschen auf der Welt könnten mittlerweile von den verheerenden Folgen von Erderhitzung und Umweltzerstörung betroffen sein – beispielweise von Dürren, Bodenerosion, Waldsterben, Überschwemmungen, sinkenden Grundwasserspiegeln und Gewässerversauerung, die unter anderem zu Ernteausfällen, mangelnder Nahrungsmittel- und Wasserversorgung sowie Gesundheitsrisiken führen.[5] Als letzter Ausweg bleibt diesen Menschen oftmals nur, abzuwandern und woanders ihr Überleben zu suchen.[6]
Weil die Klimakrise zusätzlich zu ökologischen also auch soziale, humanitäre, sozio-ökonomische, gesundheitliche, migrationspolitische bis hin zu sicherheitspolitischen Konsequenzen nach sich zieht,[7] ist abzusehen, dass entwicklungspolitische Maßnahmen künftig weiter an Bedeutung in der Klimapolitik gewinnen werden. So verbessern Programme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zum Beispiel den Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung und fördern nachhaltige Landwirtschaft, Umweltstandards sowie Menschenrechte, und bekämpfen dadurch langfristig Armut. Im Sinne der von der Arbeitsgruppe Loss and Damage untersuchten Frage können also EZA, aber auch Maßnahmen der Humanitären Hilfe, Menschen in Ländern des Globalen Südens dabei unterstützen, ihr Katastrophenrisiko zu mindern, ihre Resilienz zu stärken und sich in einem gewissen Maß an unumkehrbare Folgen der Klimakrise anzupassen. Das hat die österreichische Bundesregierung wohl erkannt und vereinbart, seine 2023 um insgesamt 108 Mio. Euro erhöhten öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen auch in den kommenden Jahren fortzuführen. Das Klimaschutzministerium plant, seine für 2023 budgetierten 70 Mio. Euro für Klimafinanzierung, Ausgleichzahlungen und klimarelevante Projekte in den Folgejahren sogar um 20 Mio. Euro zu erhöhen.
Darüber hinaus ist es längst überfällig, Klimakrise nicht isoliert zu behandeln, sondern in ihrer Wechselwirkung mit anderen aktuellen Krisen; beispielsweise der COVID-19-Pandemie und anderen Gesundheitskrisen, Konflikten und Kriegen sowie steigender Armut. Wie sich sogenannte multiple Krisen gegenseitig verstärken, zeigt ein Blick nach Äthiopien, wo ausbleibende Regenzeiten die schlimmste Dürre seit 40 Jahren verursacht haben.[8] Gleichzeitig bleiben Getreidelieferungen aufgrund des Krieges in der Ukraine aus, weshalb Lebensmittelpreise zusätzlich explodieren. Die COVID-19-Pandemie überfordert in dem Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit auch das Gesundheitssystem, in dem auf 10.000 Einwohner*innen nur drei Spitalsbetten kommen.[9] In Österreich sind es 73 Betten. War ein Drittel der Bevölkerung bereits vor der Pandemie extrem arm (lebte also von weniger als 1,60 Euro pro Tag),[10] können fast 18% ihren Hunger nur durch Lebensmittelhilfe stillen[11] und 9% der Landwirt*innen ihre Felder nicht mehr bestellen.[12] Ähnliches ist aus unzähligen Ländern des Globalen Südens zu berichten.
Multiple Krisen zerstören Errungenschaften jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit, beispielsweise zuvor gesunkene Armut, entfachen Unruhen und destabilisieren Staaten politisch, wirtschaftlich sowie gesellschaftlich. Dabei illustrieren Projekte unserer Mitgliedsorganisationen, dass mehr Investitionen in ebendiese Entwicklungszusammenarbeit dreifach gegen multiple Krisen wirken: Denn EZA kann Krisen vorbeugen, sie eindämmen und bewältigen. Im Rahmen von jährlich über 1.000 Projekten in 120 Ländern leisten unsere Mitglieder auch einen wichtigen Beitrag zu Klimagerechtigkeit und eröffnen Menschen sowie Regionen Zukunftsperspektiven, wie das Länderbeispiel Äthiopien zeigt:[13]
Die genannten Projekte zeigen bereits, dass es nicht Ziel der UN-Mitgliedsstaaten sein darf, sich lediglich von Krisen zu erholen. Im Sinne des Ansatzes Building Forward Better, der die COP26 im Vorjahr begleitet hatte, gilt es, die Welt besser – also gerechter, ökologischer und nachhaltiger – wiederaufzubauen. Den Weg in Richtung eines menschenwürdigen Lebens für alle auf einem gesunden Planeten weisen bereits die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die alle 193 Mitgliedstaaten am 25. September 2015 verabschiedet hatten. Staaten sind also längst gefragt, Handlungen sowie Politiken mit den Nachhaltigkeitszielen abzustimmen, um nationale wie auch weltweite Herausforderungen nachhaltig zu lösen.
Zwar fördern alle 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) Klimagerechtigkeit, SDG 13 und seine Unterziele widmen sich aber explizit Maßnahmen zum Klimaschutz.[14] So sollen weltweit 500 Mio. arme und vulnerable Menschen (z.B. Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, Kinder und Frauen) bis 2025 gegen Klimakrisen abgesichert sein. Doch ist bereits Halbzeit, und die UN-Mitgliedstaaten verzeichnen das zweite Jahr in Folge Rückschritte bei der Umsetzung der Agenda 2030. Während die COVID-19-Pandemie das Erreichen von SDG 1 (keine Armut), SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen) sowie SDG 8 (menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum) weltweit unterminiert hat, schneidet Österreich insbesondere bei SDG 12 (verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster), SDG 17, (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele), aber auch SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) schlecht ab. Zu diesem und weiteren ernüchternden Ergebnissen kommen unter anderem die Bertelsmann Stiftung[15] sowie die Vereinten Nationen.[16]
Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz wandte sich die Allianz für Klimagerechtigkeit, deren Mitglied wir sind, mit ambitionierten Maßnahmen für Klimagerechtigkeit, umfassenden Klimaschutz und internationale Klimafinanzierung an die österreichische Bundesregierung. Die Regierung solle bei der COP27 einbringen, dass UN-Mitgliedstaaten …
Unsere Arbeitsgruppe Migration & Entwicklung legte zudem im Jänner 2022 ein Briefingpapier vor, das die Wechselwirkung zwischen Klimakrise und Vertreibung aufzeigt und darlegt, wie Entwicklungspolitik vielfältige Ursachen von Flucht und Migration reduzieren kann. Es enthält ebenfalls konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung.
[1] Our World in Data (2020): Annual CO2 Emissions
[2] Our World in Data (2021): Population
[3] Medium (24.08.2018): 3 Lösungen gegen Klimafolgen! So einfach erklärt, als wären sie nicht kompliziert
[4] Südwind (08.11.2022): COP27: Südwind begrüßt Österreichs Bekenntnis zu Schäden und Verlusten und fordert neue internationale Finanzierungseinrichtung
[5] Intergovernmental Panel on Climate Change (2022): Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability
[6] AG Globale Verantwortung (20.01.2022): Briefingpapier: Klimakrise, Vertreibung & Entwicklung
[7] Allianz für Klimagerechtigkeit (2021): Forderungen an die Bundesregierung zur COP26 in Glasgow
[8] UNICEF (23.09.2022): Dürre in Ostafrika: Kreislauf aus Katastrophe und Armut
[9] Statistisches Bundesamt (o.D.): Basistabelle Krankenhausbetten
[10] Vergleichszahlen von 2015; damals zählte Äthiopien über 100 Mio. Einwohner*innen, 2021 bereits fast 118 Mio. Siehe World Bank (o.D.): Ethiopia
[11] 20,4 Mio. Menschen. Siehe World Food Programme (o.D.): Ethiopia
[12] World Bank (02.03.2021): Monitoring COVID-19 Impacts on Households in Ethiopia
[13] Details siehe AG Globale Verantwortung (13.09.2022): EZA wirkt dreifach: Multiplen Krisen vorbeugen, sie eindämmen und bewältigen
[14] SDG Watch Austria (o.D.): Maßnahmen zum Klimaschutz
[15] AG Globale Verantwortung (14.09.2022): Sustainable Development Report 2022
[16] AG Globale Verantwortung (19.10.2022): The Sustainable Development Goals Report 2022
(hh)