Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Bericht
In vielen Ländern des Globalen Südens mangelt es an den nötigen finanziellen Ressourcen, um die Ausbreitung von COVID-19 zu bremsen und die sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie abzuschwächen. Daher kommt Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs), wie der Weltbankgruppe oder dem Internationalen Währungsfonds, eine zentrale Rolle zu. Durch kurzfristige Finanzhilfen und Schuldeninitiativen können sie die Länder des Globalen Südens bei der unmittelbaren Krisenbewältigung unterstützen. Langfristig können sie einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung leisten. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Rolle der IFIs in Coronazeiten.
Bereits im März und April 2020 haben zahlreiche IFIs Soforthilfepakete geschnürt, um Länder des Globalen Südens bei der Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen zu unterstützen. Vielfach wurden die zunächst genannten Summen später weiter aufgestockt, je mehr sich das Ausmaß der Pandemie und ihrer Folgen abzeichnete. Die Soforthilfegelder fließen insbesondere in den Gesundheitssektor (Stärkung der öffentlichen Gesundheitssysteme, Kapazitätsentwicklung, Versorgung mit medizinischer Schutzausrüstung, etc.) sowie in die Unterstützung des Privatsektors (Liquiditätsspritzen und Finanzierungsprogramme für KMU, Sicherung strategischer Wertschöpfungsketten, etc.), um Arbeitsplätze und damit die Einkommensgrundlage der lokalen Bevölkerung zu sichern. Einige IFIs unterstützen zudem Programme, die sich speziell an die arme und vulnerable Bevölkerung richten (z.B. Transferzahlungen für Beschäftigte im informellen Sektor).
Bislang (Stand September 2020) stellte die Weltbankgruppe (WBG) eine Fast-Track-Facility in Höhe von USD 14 Mrd. bereit, wovon USD 8 Mrd. über den IFC, den Privatsektorarm der WBG, abgewickelt werden. Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) hat eine COVID-19 Response Facility in Höhe von USD 10 Mrd. ins Leben gerufen, die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) ein Pandemic Response Window von USD 20 Mrd. und die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) eine Crisis Recovery Facility in Höhe von USD 13 Mrd. Weitere USD 12 Mrd. stellt die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) im Rahmen ihres Crisis Response Packages zur Verfügung. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat ein Solidarity Package von EUR 21 Mrd. geschnürt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine emergency lending facilities (Rapid Credit Facility and Rapid Financing Instrument) auf USD 100 Mrd. aufgestockt.
Die Institutionen stellen ihre Soforthilfegelder zum Teil in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen (grants) zur Verfügung, zum Teil in Form von Krediten zu günstigen Konditionen (concessional loans). Die bisher zur Verfügung gestellten Gelder wurden zum größten Teil durch Umschichtungen von bestehenden Projekten, durch Nützen freier Kapazitäten sowie durch Aufnahme zusätzlicher Mittel auf dem Kapitalmarkt freigespielt. Zu einem sehr geringen Teil sind es zusätzliche Mittel, die von Geberländern zur Verfügung gestellt werden. Laut Auskunft des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen (BMF) wurden die erwähnten Soforthilfepakete „unter tatkräftiger Mitwirkung Österreichs“ geschnürt. Zusätzliche finanzielle Mittel als Antwort auf die Coronakrise hat Österreich den IFIs bislang nicht zur Verfügung gestellt.
Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) begrüßen die rasche Antwort vieler IFIs auf die Pandemie und ihre Folgen. Gleichzeitig warnen sie davor, dass Transparenz und Rechenschaftslegung unter beschleunigten Bewilligungsverfahren leiden könnten. Die Einhaltung hoher Standards ist aber gerade in Krisenzeiten essentiell, damit sichergestellt ist, dass die gewährten Finanzhilfen tatsächlich den Menschen in den Ländern des Globalen Südens zugutekommen. Insbesondere bei Soforthilfepaketen, die auf die Unterstützung des Privatsektors abzielen, sollte sichergestellt sein, dass die Gelder lokale und kleine Unternehmen erreichen und nicht große multinationale Unternehmen retten (Oxfam 2020).
Die großen Herausforderungen, vor die uns die COVID-19-Pandemie stellt, werden in vielen Ländern des Globalen Südens noch durch hohe Auslandsschulden verschärft. Die damit einhergehenden Schuldendienste (Kapital und Zinsen) binden finanziellen Ressourcen, die infolge nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer sozialen und ökonomischen Folgen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Schuldenquote der Länder Subsahara-Afrikas bereits in den ersten Monaten der Pandemie durch die Aufnahme neuer Schulden um 7,3 Prozentpunkte auf 64,8 Prozent des BIPs gestiegen (IWF 2020).
Vor diesem Hintergrund einigten sich die G20-Staaten im April 2020 darauf, 77 Ländern (hauptsächlich Low Income Countries) die Möglichkeit zu geben, ihre Schuldendienste für das Jahr 2020 auszusetzen und so kurzfristig Ressourcen für die Krisenbewältigung freizuspielen (die Schulden werden jedoch 2022 – 2024 fällig). Wie sehr ein Land von dieser Debt Service Suspension Initiative (DSSI) profitiert, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, wie hoch der Anteil bilateraler Schulden an der Gesamtverschuldung ist. Die OECD geht davon aus, dass das Angebot der G20 insgesamt bis zu USD 16,5 Mrd. an Schuldenerleichterungen im Jahr 2020 bringen könnte. Eine Beteiligung der IFIs an der Schuldeninitiative der G20 könnte weitere USD 9,2 Mrd. freisetzen. Doch obwohl die DSSI unter anderem auf Drängen von Weltbank und IWF ins Leben gerufen wurde, beteiligen sich bislang weder diese beiden Institutionen noch andere IFIs daran (OECD 2020).
Die Nicht-Beteiligung der IFIs an der Schuldeninitiative der G20 hat eine intensive Debatte hervorgerufen (siehe auch den aktuellen Kommentar der Anderen auf unserer Webseite). Die Weltbank und andere IFIs begründen ihre Ablehnung damit, dass eine Beteiligung ihr Finanzierungsmodell untergraben würde, das auf der Möglichkeit beruht, zu günstigen Konditionen auf dem internationalen Finanzmarkt Geld aufzunehmen. Die Institutionen befürchten, dass eine Suspendierung der Schuldendienste ihre Kreditwürdigkeit beeinträchtigen würde und damit in weiterer Folge auch ihre Fähigkeit, Zuschüsse und Kredite zur Bewältigung der Pandemie zu gewähren. Internationale CSOs kritisieren hingegen, dass die Weltbank und andere IFIs die falschen Prioritäten setzen, wenn sie gute Finanzmarktkonditionen über ihr entwicklungspolitisches Mandat stellen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Beteiligung der Weltbank an einer früheren Schuldeninitiative, der Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) im Jahr 2006, keine negativen Auswirkungen auf das Triple-A-Rating der Bank hatte. Internationale CSOs argumentieren auch, dass finanzielle Ressourcen, die durch Schuldendiensterleichterungen freigesetzt werden, den betroffenen Ländern mehr finanziellen Handlungsspielraum für eine nachhaltige Krisenbewältigung gewähren würden, als dies bei Zuschüssen und Krediten der Fall ist, die oft an Konditionen gebunden sind (in der Vergangenheit etwa Sparmaßnahmen und Privatsierungen mit negativen Auswirkungen auf Gesundheits- und Bildungssysteme).
Einen interessanten Kompromiss stellt der Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT) des IWF dar. Über dieses Instrument gewährt der IWF seinen ärmsten Mitgliedsländern Zuschüsse, mit denen sie ihre Schuldendienste beim IWF begleichen können. Anders als die G20 stundet der IWF die Schuldendienste nicht nur, sondern erlässt sie tatsächlich. Gleichzeitig wird die Kreditwürdigkeit des IWF nicht beeinträchtigt, da der CCRT durch Beiträge bilateraler Geber gefüllt wird, die so (indirekt) für die Schulden des Empfängerlandes aufkommen. Signifikante Beiträge leisteten bislang unter anderem Japan und das Vereinigte Königreich. Mit Stand Oktober 2020 haben 28 Länder des Globalen Südens von dieser Schuldeninitiative profitiert. Ihnen wurden im Zeitraum April bis Oktober 2020 insgesamt USD 251 Mio. an Schuldendiensten erlassen (IWF 2020). Das vergleichsweise geringe Volumen erklärt sich dadurch, dass lediglich 29 Länder anspruchsberechtigt sind. CSOs schlagen daher eine Ausweitung auf weitere Länder des Globalen Südens vor. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es dem IWF gelingt, den CCRT weiter aufzustocken. Gleichzeitig warnen CSOs davor, dass diese Aufstockung ausschließlich über zusätzliche Beiträge von bilateralen Gebern geschieht, da dies unter Umständen zu einer Reduktion der direkten Entwicklungsleistungen (ODA) dieser Geber an Länder des Globalen Südens führen könnte. Stattdessen schlagen sie dem IWF alternative Finanzierungsmöglichkeiten vor, wie etwa den Verkauf seiner Goldreserven oder die Ausgabe von Special Drawing Rights (Eurodad 2020).
Die Rolle der IFIs in aktuellen Schuldeninitiativen ist nur ein Teil der Debatte, die angesichts steigender Verschuldungsquoten im Globalen Süden wieder verstärkt geführt wird. Zahlreiche Staaten könnten in absehbarer Zeit zahlungsunfähig werden, eine Schuldenkrise droht. Vor diesem Hintergrund setzen sich international zahlreiche CSOs für eine umfassende, systematische, frühzeitige und faire Restrukturierung der Auslandsschulden ein, um den Schuldenstand in den betroffenen Ländern auf ein tragfähiges Niveau zu bringen (Global Call to Action Against Poverty 2020, Civil Society Financing For Development Group 2020). Mit diesem Ziel vor Augen fordern sie in einem ersten Schritt bilaterale, multilaterale und private (kommerzielle Banken, Investmentfonds, etc.) Kreditgeber auf, verschuldeten Ländern des Globalen Südens die Schuldendienste der nächsten vier Jahre zu erlassen. Damit könnte Zeit gewonnen werden, um unter Federführung der Vereinten Nationen gemeinsam mit den betroffenen Staaten eine dauerhafte Lösung, etwa in Form eines Sovereign Debt Workout Mechanism (eine Art Ausgleichverfahren für verschuldete Staaten) auszuarbeiten. Auch IWF-Präsidentin Georgieva und Weltbank-Präsident Malpass sprachen sich vor Kurzem für umfangreiche Schuldenerlässe und eine Reform der internationalen Schuldenarchitektur aus (IWF 2020, Weltbank 2020).
Die im Frühjahr 2020 geschnürten Soforthilfepakete haben den Zweck, die unmittelbaren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzuschwächen. Einige IFIs haben darüber hinaus bereits längerfristige Finanzhilfen für den Wiederaufbau in Aussicht gestellt. So hat etwa die Weltbankgruppe angekündigt, bis zum Ende des Jahres 2021 zusätzliche USD 160 Mrd. an Finanzierung zur Verfügung zu stellen (Weltbank 2020). Der IWF hat die jährliche Obergrenze an Finanzhilfen, um die ein Land beim IWF ansuchen kann, erhöht, da zahlreiche Länder die ursprünglich geltende Obergrenze bereits erreicht hatten (IWF 2020). Außerdem will der IWF den CCRT, der ursprünglich nur für 6 Monate aufgesetzt war, um zwei Jahre verlängern.
In der Vergangenheit waren Finanzhilfen von IWF und Weltbank häufig an strenge Sparmaßnahmen (austerity measures) und Privatisierungsstrategien gekoppelt, die u.a. für die schwachen öffentlichen Gesundheitssysteme in vielen Ländern des Globalen Südens mitverantwortlich gemacht werden. Internationale CSOs schlagen daher vor, dass COVID-19-Finanzhilfen unabhängig von wirtschaftspolitischen Bedingungen vergeben und die Fehler der Vergangenheit vermieden werden sollten (Bretton Woods Projekt 2020). Aktuelle Äußerungen der Präsidenten der Weltbank deuten jedoch darauf hin, dass die Bank zukünftige Unterstützungsmaßnahmen erneut von der Umsetzung struktureller Reformen (Handelsderegulierungen, Privatisierungen, etc.) abhängig machen könnte (Weltbank 2020).
Langfristig geht es darum, mit sorgfältigen entwickelten Programmen eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung anzustoßen. Es gilt, nicht nur kurzfristige Antworten auf die aktuelle Krise und ihre Folgen zu finden, sondern die Grundlage für eine nachhaltige, inklusive und resiliente Zukunft zu schaffen (Building Back Better). Dementsprechend sollten Finanzhilfen der IFIs Regierungen in ihren Anstrengungen unterstützen, starke öffentliche Gesundheitssysteme aufzubauen, ihre Wirtschaft klimafreundlicher und widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Krisen wieder aufzubauen und die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltig Entwicklung (SDGs) umzusetzen, indem sie ihnen den dafür nötigen finanziellen Spielraum gewähren.
Seit 2008 besitzt Österreich eine eigene bilaterale Entwicklungsbank, die Österreichische Entwicklungsbank (OeEB). Als Antwort auf die aktuelle Krise beteiligt sich die OeEB mit EUR 30 Mio. an einem COVID-19-Response-Window, das vom Verband der europäischen Entwicklungsbanken initiiert wurde. Für ihre Bestandskunden hat die Bank eine neue Überbrückungskreditlinie geschaffen, um auf deren erhöhten Liquiditätsbedarf zu reagieren. Zusätzlich hat die OeEB die Bereitstellung von Finanzierungen für afrikanische Länder und andere Länder des Globalen Südens, die besonders von der Pandemie und ihren Folgen betroffen sind, ausgeweitet (u.a. Erhöhung der Investitionsfinanzierung auf EUR 173 Mio. zwischen Jänner und August 2020, im Vergleich zu EUR 162 Mio. im selben Zeitraum 2019).
(ir)